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Review 11:14

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Unfälle, bei denen einiges auf der Strecke bleibt.
von D.S.

Episodenfilme haben ihren eigenen Reiz. Innerhalb eines einzigen Erzählrahmens gleich mehrere Geschichten auf einmal zu präsentieren, die noch dazu oft kausal oder chronologisch nicht zusammenhängend angeordnet sind, bricht Sehgewohnheiten, fordert Aufmerksamkeit, bietet - wenn mit spannenden Stories versehen und angemessen inszeniert - ein Vielfaches an Unterhaltung.

Ganz besonders gilt dies, wenn die Episoden - wie bei 11:14, wie aber natürlich auch bei den großen Vorbildern à la PULP FICTION - in einem direkten, zunächst aber ungeklärten Zusammenhang miteinander stehen; wenn sie wie Puzzlestücke erst am Ende des Films ein vollständiges Bild ergeben. Bis zuletzt bleibt unklar, wie es zu diesem oder jenen Vorfall in einer der Episoden kommen konnte oder was er zu bedeuten hat; inwieweit er mit einem anderen Vorfall in einer anderen Episode zusammenhängen mag; ob er tatsächlich als abgetrennt vom weiteren Geschehen betrachtet werden oder ob er weitreichende Folgen für in einem ganz anderen Zusammenhang eingeführte Protagonisten haben kann. Und das heißt: bis zuletzt bleibt der Zuschauer (idealerweise) interessiert bis gebannt; können Verlauf und Ausgang des Gesamtgeschehens nicht vollständig vorhergesehen werden.

So kann 11:14 tatsächlich ohne weiteres attestiert werden, daß er bis zum Schluß kurzweilig bleibt und immer wieder überraschende Elemente beinhaltet. Würde der Film allerdings diese formale Besonderheit nicht aufweisen, würden seine Episoden in einer "logischen" Reihenfolge bzw. in EINEM Handlungsstrang verknüpft erzählt werden - dann wäre 11:14, so ist zumindest stark anzunehmen, nicht von großem Interesse.

Zwar zeichnen sich sämtliche seiner kleinen Geschichten, die ihren Knackpunkt jeweils um 23.14 Uhr erreichen und, wie schon die Eröffnungscredits andeuten, recht viel mit Autos zu tun haben, durch gewisse Fiesheiten aus. Durch eine für seine Protagonisten unerquickliche Ansammlung dummer Zufälle und fataler Unfälle, die zu unterschiedlich großen - und für den Zuschauer unterschiedlich unterhaltsamen - Desastern führen. Zwar ist das auch alles fraglos flott und abgeklärt inszeniert; Längen treten keine nennenswerten auf, und es ist relativ viel Abwechslung im Geschehen zu verzeichnen. Allerdings ist leider fast nichts davon, jeweils für sich genommen, sonderlich aufregend. Dazu hat man es inzwischen einfach schon viel zu oft gesehen, daß Filmfiguren sich aus Dummheit / Boshaftigkeit / Panik / Rachegelüsten / Naivität ... in Situationen manövrieren, die sie Kopf und Kragen (oder auch ein anderes Körperteil) kosten könnten - und dies häufig auch tun.

So begegnen wir hier den verschiedensten Charakteren: dem die Tochter unter allen Umständen treudoof umsorgenden Familienvater, der grenzdebil pubertierenden Jungmänner-Crew, der kleinen und gemeinen Schlampe, dem armselig kleinkriminellen Macho; Verlierern und Möchtegern-Gewinnern, braven Bürgern, Gesetzeshütern und Verbrechensopfern. Charakteren, die wir sämtlichst schon aus anderen Zusammenhängen, andern Filmen kennen. Charakteren, die hier keine Tiefe erhalten, über die wir kaum etwas erfahren, die auch keine wirkliche Rolle spielen - außer der des Spielballs der aus dem Ruder geratenden Ereignisse in 11:14. Sicher, sonderlich dramatisch ist es nicht, daß hier keiner über ein Abziehbild hinauswächst. Schließlich geht es dem Film nicht um eine bestimmte, auf interessanten Figuren basierende Geschichte. Es geht um das Zusammenwirken unglaublicher Zufälle, um das sprichwörtliche Kollidieren unterschiedlicher Vorhaben, um Fehlentscheidungen und grandiose Pechsträhnen, die in einem Kaleidoskop der Katastrophen münden. Ein solches Erzählkonzept bedarf nicht notwendigerweise eines gesteigerten Interesses der Zuschauer an Einzelschicksalen. Allerdings hätte es dem Film bestimmt auch nicht geschadet. Denn so, wie einem die Figuren hier nähergebracht werden, kann man kaum anders, als sie nicht wirklich "ernst" zu nehmen. Sie erhalten nicht genug Raum, als daß man Mitgefühl oder gar Sympathie für sie entwickeln könnte; notgedrungen ist es einem fast völlig egal, was aus ihnen wird. Und nachträglich möchte man "Zum Glück" sagen - denn in mehreren Fällen verschwinden sie einfach wieder von der Bildfläche, nachdem sie ihren Beitrag zum fröhlichen Chaos-Kommando geleistet haben; man erfährt nichts über ihr weiteres Schicksal, sie bleiben schlicht unfertige Bausteine in einer zuweilen sehr konstruiert wirkenden Groteske über menschliche Dilemma und Zusammenstöße er verschiedensten Art.

All diese Kritik soll nicht nahelegen, daß 11:14 ein schlechter Film wäre. Im Gegenteil, er unterhält von Anfang bis Ende, fast ohne wirklich langweilige Momente. Er hat einige garantierte Lacher eingebaut, die von durchaus bösartiger Natur sind. Und er führt auch einige seiner Geschichten zu einem ziemlich konsequenten - und das heißt hier letztlich drastischen - Ende. Empfehlenswert ist das ganze also allemal. Dennoch kann man kaum umhin, festzustellen, wieviel Potential hier vergeben wurde. Wieviel Schlagkraft einzelner Geschichten, somit: wieviel Qualität wohl zugunsten schlichter Quantität aufgegeben wurde.

Ein tieferes Einsteigen in einzelne, möglichst noch ein wenig absurdere Geschehnisse, ein ausgefeilteres Drehbuch mit mehr ÜBERRASCHUNGEN - und 11:14 wäre wahrscheinlich ein großartiger Film geworden. So aber präsentiert er eine Vielzahl zumeist nur bedingt erinnernswerter Handlungsabläufe im zu kurzatmigen Wechsel; ist dadurch lediglich "nett", macht Spaß, ist ein angenehmer Zeitvertreib. Um mehr als das zu sein, fehlt ihm aber - abseits des noch immer vergleichsweise originellen formalen Korsetts - schlußendlich die Bissigkeit und das Besondere. Deshalb "nur" 7,5 Punkte. Einer der besseren Filme des diesjährigen Festivals, aber nicht unbedingt ein angemessener Abschlußfilm.

guckte im Cinemaxx, Berlin

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11:14
  • f3a.net: 7.9/10 54
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-18 23:40

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