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Review An American Crime

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Eine Reise ins dunkle Herz des amerikanischen Traums
von D.S.

Ich lehne mich jetzt, nach für mich gerade mal drei Tagen Festival, ganz weit aus dem Fenster und sage: wer dieses Jahr nur einen einzigen Film auf dem FFF sehen will, sollte diesen wählen. Zumindest, wenn er Wert auf mehr als nur "Unterhaltung" legt. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß mir noch ein Film des 07er Programms so nahe gehen wird wie dieser.

Man könnte hier tausende dummer, ausgewalzter Sprüche anbringen, sie hätten alle ihre Berechtigung: die schlimmsten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst. Es gibt kein grausameres Tier als den Menschen. Kinder können die größten Monster überhaupt sein. Und jeder einzelne deiner Nachbarn hat das Potential, zum Sadisten und Mörder zu werden.

"An American Crime" basiert auf einer wahren Begebenheit, die so unvorstellbar ist, daß man dem Film am liebsten ständig Unglaubwürdigkeit vorwerfen würde. Wie hier ganz normale Kleinstädter und scheinbar unschuldige Kinder zu gnadenlosen Folterknechten werden; keinerlei Hemmungen haben, das Leben eines Mädchens ohne jeden Anlaß zur Hölle zu machen, ihr alle Würde und alle Hoffnung zu nehmen... wie jeder einfach mitmacht und seinen Spaß am Quälen entdeckt, ohne dabei auch nur so etwas wie Gewissensbisse zu verspüren... das läßt einem manchmal einfach den Atem stocken.

Sicherlich, das sind nun 2007 alles keine neuen Erkenntnisse mehr, wir wissen mittlerweile, wozu jeder x-beliebige Mensch unter den richtigen Bedingungen so in der Lage sein kann. Und daß für die meisten Mitgefühl und Menschlichkeit ohnehin nur antrainierte Masken sind, die ihnen nicht wirklich etwas bedeuten. Dennoch ist es etwas anderes, das auf diese Weise zu sehen. Einerseits, was die Protagonisten angeht - wie gesagt, in erster Linie Kinder. Andererseits, was die Umsetzung betrifft. Denn nicht nur, daß hier sämtliche Beteiligten phänomenal spielen: ohne, daß wir allzu viel zu sehen bekämen, nehmen wir an den Folterungen der verlorenen Sylvie unmittelbar teil.

Vielleicht einmal abgesehen vom Erzählrahmen - der Gerichtsverhandlung gegen Sylvies Pflegemutter mit Zeugenaussagen vieler Beteiligten -, ist die Inszenierung so dicht, daß wir mit Sylvie kaum zum Atemholen kommen und uns mit ihr ganz plötzlich in einer Situation wieder finden, die nicht zu antizipieren war. Das Unheil bricht so unerwartet, so grotesk und so grenzenlos über sie herein, daß man es als Betrachter - mit ihr - einfach nicht glauben mag.

Aber all das hier Gezeigte ist wirklich geschehen (wenn auch eventuell nicht exakt so). Und das Schockierendste ist vielleicht unser Wissen, daß es jederzeit wieder geschehen könnte. In jeder Gesellschaft, in der jeder Mensch nur sich selbst als Zentrum aller Bedeutung und Empfindung sieht.

Wer denkt, er weiß doch eh schon, was passiert und braucht sich den Film deshalb nicht anzusehen, irrt nicht nur wegen des emotionalen Involvements, das erzeugt wird und das sich nur schwer beschreiben läßt. Nein, "An American Crime" erzählt seine Geschichte zudem auf eine sehr intelligente Weise und kann deshalb auch noch mit Überraschungen aufwarten. Was ihn vielleicht zu einem der interessantesten Real-Crime-Filme macht, die ich kenne.

Aber Kritik gibt es auch hier - gegen Ende, als man als Zuschauer ohnehin schon am Boden liegt, werden dann leider noch ein paar überflüssig kitschige Momente drangehängt. Das war dann zuviel des Guten und wirkt ein wenig billig.

Abgesehen davon aber ist der Film ein ziemlich wuchtiger Schlag in die Magengrube und ein echtes Muß für jeden, der mal wieder gerne richtig mitgenommen werden möchte von dem, was da auf der Leinwand passiert. Und in der Realität. 8,5 Punkte.

war im Metropolis 8, Frankfurt

43 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

An American Crime
  • Score [BETA]: 77
  • f3a.net: 7.7/10 43
Bewertungen von IMDb werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-03-28 13:18

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