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Review An American Crime

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Dieser Review enthält SPOILER!

Nicht hart genug
von Case

An American Crime ist durchaus kompetent gemacht, von der Kameraführung her immer schön anzusehen und mit sehr überzeugenden schauspielerischen Leistungen bestückt, allen voran Ellen Page als Sylvia Likens. Jedoch muss ich bei einem True Crime Film, als jemand der im Voraus schon zumindest mit dem groben Tatverlauf vertaut war, hier einiges an dem Filmskript und dessen Umsetzung kritisieren.

Erklärtes Ziel des Films schien mir zu sein, die unfassbaren Begebenheiten um den Fall Sylvia Likens zumindest einigermaßen verständlich zu machen. So gibt sich der Film objektiv, inszeniert Szenen aus dem Gerichtsverfahren und versucht Mörderin Gertrude Baniszewski nicht als Monster darzustellen sondern als Mensch zu verstehen. Das ist sicherlich sehr löblich, führt allerdings zu einigen eigenartigen Abwandlungen der wahren Geschichte die bei mir ein ungutes Gefühl verursacht haben.

Dass Sylvia Likens aufs übelste gefoltert wurde wird gezeigt und was gezeigt wird ist sicherlich hart. Allerdings meiner Meinung nach noch lange nicht hart genug - was der Film zeigt ist nur ein kurzer Auszug aus der langen Liste an Gräueltaten, die Sylvia angetan wurden. Wenig hilfreich ist hier die kunterbunte happy-go-lucky 60er Jahre Kulisse die uns Regisseur Tommy O’Haver präsentiert. Dass dessen bisherige Filme allesamt romantische Komödien waren verwundert wenig, wenn man sich die vom warmen Sonnenlicht durchfluteten Szenen des Filmes ansieht - Picknicks und Pop-Musik inklusive. O’Haver versteht es einfach nicht, dem Film die nötige Gravitas zu verleihen, die dieses Sujet gebietet.

Im Film wirkt die Mutter Gertrude Baniszewski stets ein wenig reumütig und weint während sie Sylvia foltert. Der Eindruck entsteht, dass sie ihre Taten einfach als etwas ausgiebigere Bestrafung ansieht, bis Sylvia zur Einsicht kommt. Dass sie in Realität Sylvia zwang ihre eigene Fäzes zu essen oder Salz in ihre Wunden gerieben hat - für mich Indizien einer viel tiefer gehenden sadistischen Haltung - bleibt im Film unerwähnt. Genauso verwirrend ist die Szene von Sylvias Tod: Im Film sitzt die Mutter völlig unbeteiligt und scheinbar mit Medikamenten vollgestopft auf dem Sofa und redet sich andauernd nur ein: "Das wird schon wieder, sie stirbt nicht, sie simuliert nur." In Wirklichkeit zwang sie zuvor noch Sylvia einen erlogenen Abschiedsbrief an ihre Eltern zu schreiben, damit es so aussehen würde als ob Sylvia von zu Hause weg gerannt sei. Einen Plan wie sie die Leiche an einer Müllhalde loswerden wollte hatte die Mutter auch schon. Was im Film also eher wie Totschlag durch eine geistig verwirrte, nicht mehr zurechnungsfähige Frau dargestellt wird war in Wirklichkeit vorsätzlicher Mord.

Störend empfand ich auch die prominante Traumsequenz des Films, in der es Sylvia schafft aus ihrem Gefängnis zu entkommen und zu ihren Eltern zurückfindet. Dramaturgisch gesehen ist das natürlich ein guter Trick um den Zuschauer fehlzuleiten, so dass nach anfänglicher Erleichterung der Schock - es war alles nur ein Traum - tief sitzt. Dies funktioniert allerdings nur bei völlig unbefleckten Zuschauern, ich denke viele werden zumindest schon im Voraus gehört haben, dass es sich um eine Mordgeschichte handelt. So war die Traumsequenz für mich nur verwirrend und fehl am Platz.

Schade, da wäre viel mehr drin gewesen...

war im Cinedom 6, Köln

43 Bewertungen auf f3a.net

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An American Crime
  • Score [BETA]: 77
  • f3a.net: 7.7/10 43
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© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-20 14:26

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