Reviewer
D.S. * 8.0
Wuchtig, magnetisch, nihilistisch
Für mich das Highlight des ersten Tages, und das liegt ausschließlich an der Darstellerleistung von Joaquin Phoenix sowie insbesondere der hypnotisierenden Inszenierung – storyseitig bekommen wir hier nämlich, nüchtern betrachtet, nur die x-te Variante von EIN MANN SIEHT ROT geboten, die mit einigen unglaubwürdigen Verschwörungstheorien und geheimnisvollen Ränkespielen rund um Pädophilie & Co. gewürzt sind. Das macht aber wenig, denn die Kombination aus überragender Kameraarbeit und Schnitt, treibendem Electro-Score und brachial nihilistischer Charakterzeichnung, von Phoenix wie eine Naturgewalt umgesetzt, gerät zu einem ungemein fesselnden Erlebnis, das tatsächlich oft an DRIVE erinnert – aber ein paar extremere Härten einstreut. Lynne Ramsay ist mit YOU WERE NEVER REALLY HERE ein deutlich kraftvollerer und spannenderer Film als WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN gelungen, der erst am Ende ins Stottern gerät: Nach einer episch emotionalen Szene im Wasser ist leider plötzlich ziemlich die Luft raus und man schleppt sich etwas über die Zielgerade; zudem wird das deutlich weniger intensive Ende gewählt als jenes, welches kurz vorher angespielt wurde. Trotzdem äußerst beeindruckend; wuchtige 8 Punkte.
war im Harmonie, Frankfurt
Leimbacher-Mario * 7.5
Rache ist ein Gericht, das am besten mit Bart serviert wird
Wie folgt man als Regisseurin einem unvergesslichen Werk wie "We Need To Talk About Kevin"? "You Were Never Really Here" (den neuen, generischen Titel mag ich nicht und vernachlässige ich) gibt die Antwort in herausragenden Ansätzen. Leider kommt der nihilistische Thriller über diese in meinem Herzen, zumindest beim ersten Sehen, nicht hinaus. Doch er ist voller Kraft und Sog, verleitet wie kaum ein zweiter Film diesen Winter zu einem zweiten Durchlauf. Die Geschichte ist intim, einfühlsam und extra hart. Es geht um einen Killer, der sich scheinbar selbst nicht mal im Spiegel ansehen kann und der plötzlich gegen einen hochrangigen Kinderschänderring, bewaffnet mit einem Hammer, in den Krieg zieht...
Vergleiche mit Klassikern und zu hohe Erwartungen helfen einem neuen Film nur äußerst selten. Doch da Ramsays Kopfstoß von Actiondrama sichtlich viel von großen Filmen aus der Vergangenheit in sich vereint, lässt sich das kaum vermeiden. Von "A History of Violence" bis "Oldboy" gehen da schnell die Lichter an. Doch ganz an deren Exzellenz kommt der unnachahmliche Joaquin Phoenix und sein hammerharter Feldzug nicht heran. Dafür habe ich zwei zu deftige Probleme mit diesem düsteren Brummer - seine generische Story und seinen Umgang mit Gewalt. Über Ersteres könnte ich hinwegsehen, da ein Rachethriller gut mit wenig auskommen kann und einige Motive kaum altern. Doch die Gewalt, on screen wohlgemerkt, fehlt mir. Die Atmosphäre ist ohne Frage bitterböse, die Themen heftig, die Folgen der Gewalt bohren sich tief - doch dass so gut wie alles Explizite im Off passiert, damit habe ich nicht gerechnet und muss ich mich noch anfreunden. Das scheint in Ramsays filmischer DNA zu liegen. Damit muss man wohl leben. Kann man, wenn ein Phoenix waldbrandartig wütet und ein Soundtrack pulsiert wie Berlin in der Nacht. Nur ich vermisse es in diesem Fall.
Fazit: minimalistisch, ruhig, effektiv - ich hatte mir bei den Vorschusslorbeeren zwar etwas mehr erhofft, ein neuer "Drive" oder gar "Taxi Driver" ist er nicht, doch die Geschichte um den lebensmüden Auftragskiller besitzt durchaus eine einnehmende innere (Un)Ruhe, eine pulsierende Finalität. Der dunkle Bruder von "Leon der Profi" vielleicht. Obwohl solche Vergleiche selten gut tun.
Vergleiche mit Klassikern und zu hohe Erwartungen helfen einem neuen Film nur äußerst selten. Doch da Ramsays Kopfstoß von Actiondrama sichtlich viel von großen Filmen aus der Vergangenheit in sich vereint, lässt sich das kaum vermeiden. Von "A History of Violence" bis "Oldboy" gehen da schnell die Lichter an. Doch ganz an deren Exzellenz kommt der unnachahmliche Joaquin Phoenix und sein hammerharter Feldzug nicht heran. Dafür habe ich zwei zu deftige Probleme mit diesem düsteren Brummer - seine generische Story und seinen Umgang mit Gewalt. Über Ersteres könnte ich hinwegsehen, da ein Rachethriller gut mit wenig auskommen kann und einige Motive kaum altern. Doch die Gewalt, on screen wohlgemerkt, fehlt mir. Die Atmosphäre ist ohne Frage bitterböse, die Themen heftig, die Folgen der Gewalt bohren sich tief - doch dass so gut wie alles Explizite im Off passiert, damit habe ich nicht gerechnet und muss ich mich noch anfreunden. Das scheint in Ramsays filmischer DNA zu liegen. Damit muss man wohl leben. Kann man, wenn ein Phoenix waldbrandartig wütet und ein Soundtrack pulsiert wie Berlin in der Nacht. Nur ich vermisse es in diesem Fall.
Fazit: minimalistisch, ruhig, effektiv - ich hatte mir bei den Vorschusslorbeeren zwar etwas mehr erhofft, ein neuer "Drive" oder gar "Taxi Driver" ist er nicht, doch die Geschichte um den lebensmüden Auftragskiller besitzt durchaus eine einnehmende innere (Un)Ruhe, eine pulsierende Finalität. Der dunkle Bruder von "Leon der Profi" vielleicht. Obwohl solche Vergleiche selten gut tun.
war im Residenz, Köln
Herr_Kees * 8.0
„But I’ve never been to me“
Ein Einzelgänger mit mysteriöser Backstory, der ein Kind aus einem Mädchenhändlerring befreit und sich dadurch unfreiwillig mit mächtigen Kreisen anlegt – es ist nicht die Geschichte, die hier fesselt, es ist ihre Erzählstimme. Wie Lynne Ramsay aus genrebekannten stereotypen Grundmotiven einen jederzeit sehenswerten Film gemacht hat, das brachte ihr im letzten Jahr den Drehbuchpreis von Cannes ein, auch wenn ein Regiepreis vielleicht sogar angemessener gewesen wäre.
In ökonomischer Erzählweise, mit viel Empathie für ihre Figuren (allen voran Joaquin Phoenix massigen Rächer, einem TAXI DRIVER im Mietwagen – Darstellerpreis in Cannes) und begleitet von einem hervorragenden elektronischen Soundtrack (von Radioheads Jonny Greenwood) erschafft sie neue Perspektiven auf ein eigentlich auserzähltes Genre, ähnlich wie dies zuletzt GOOD TIME gelang.
Die größte Stärke des Films ist vielleicht seine Verweigerung von Eindeutigkeit. So wird die genretypische Hintergrundgeschichte der Hauptfigur hier lediglich angedeutet und nie klar aufgelöst, die Gewalt bleibt ebenfalls zumeist offscreen, ohne dabei jedoch an Härte einzubüßen und eine absurd-rührende Sterbeszene lässt den Zuschauer ebenso irritiert wie verzückt zurück – das ist Kino zum Nachdenken und Miterleben.
In ökonomischer Erzählweise, mit viel Empathie für ihre Figuren (allen voran Joaquin Phoenix massigen Rächer, einem TAXI DRIVER im Mietwagen – Darstellerpreis in Cannes) und begleitet von einem hervorragenden elektronischen Soundtrack (von Radioheads Jonny Greenwood) erschafft sie neue Perspektiven auf ein eigentlich auserzähltes Genre, ähnlich wie dies zuletzt GOOD TIME gelang.
Die größte Stärke des Films ist vielleicht seine Verweigerung von Eindeutigkeit. So wird die genretypische Hintergrundgeschichte der Hauptfigur hier lediglich angedeutet und nie klar aufgelöst, die Gewalt bleibt ebenfalls zumeist offscreen, ohne dabei jedoch an Härte einzubüßen und eine absurd-rührende Sterbeszene lässt den Zuschauer ebenso irritiert wie verzückt zurück – das ist Kino zum Nachdenken und Miterleben.
saß im Metropol, Stuttgart
36 Bewertungen auf f3a.net
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Bewertungen
A Beautiful Day
- Score [BETA]: 81
- f3a.net: 7.4/10 36
- IMDb: 7.4/10
- Rotten Tomatoes: 86%
- Metacritic: 88/100