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Review The Bothersome Man

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Dieser Review enthält SPOILER!

A Life Less Ordinary
von zoulwags

Außer der Spoiler-Warnung noch die Warnung, dass dieser Review lang ist und ich "The Bothersome Man" wirklich brillant fand, obwohl er "doch eher ein arte-Film ist, als dass er auf das Festival gehört" (O-Ton eines Zuschauers in FfM). Wer also auch mal gerne einen arte-Film guckt, kann ja in den Text mal reinlesen...

Ein Mann wirft sich vor eine U-Bahn - ein Schnitt - und der Zuschauer befindet sich in einem öden Niemandsland, in dem an einer verlassenen Tankstelle ein einsamer, bärtiger Mann, den man nur mit Mühe als den Selbstmörder der ersten Szene identifizieren kann, von einem anderen empfangen, in ein Auto gesetzt und in die Zivilisation gefahren wird.
Die ersten 5 Minuten von The Bothersome Man lassen auf schwere & schwermütige Kost schließen. Auch für das Tempo des Films macht Regisseur Jens Lien dem Zuschauer zunächst keine Hoffnung: er lässt sich Zeit für die Fahrt aus der Einöde; ab und an wird mal ein Vorspann-Titel eingeblendet, aber eilig hat man es hier nicht.
Trotzdem ist The Bothersome Man keine Minute zu lang, nie langweilig und - trotz seiner Thematik und des wenig hoffnungsvollen Endes - höchst unterhaltsam.
Der sich sorgende Mann, der dem Film den Titel gibt, ist Andreas. Er lebt in einer gleichermaßen vertraut und fremd scheinenden (Parallel-)Welt, von der er nicht weiß, wie er in sie geraten ist. Die Welt, die der Film entwirft, ist eine Welt ohne Sorgen und Nöte, materieller Wohlstand ist vorhanden, es ist aber auch eine Welt ohne sinnliches Erleben und Gefühle. Schon früh findet sich eine zentrale Szene, in der sich ein Betrunkener in der öffentlichen Toilette einer Bar darüber beklagt, dass alles gleich schmecke und dass er nichts riechen könne. Frustrationen, die Andreas, wenn auch zunächst unbewusst, nachvollziehen kann: er folgt dem Fremden und stößt über ihn auf eine andere Welt, eine Welt der Töne, des Kinderlachens, eine Welt, in der es nach frisch gebackenem Apfelkuchen duftet.
Erst spät im Film offenbart uns Lien einen Blick in diese ideale "Apfelkuchenwelt"; es ist nur eine Einstellung, die jedoch Andreas’ Welt, wie sie der Film über anderthalb Stunden entwickelt hat, konterkariert: warme Farben, behagliches Chaos in einer Küche. Andreas darf ein Stück des Apfelkuchens kosten - und isst damit vom Baum der Erkenntnis. Der Einblick in die Apfelkuchenwelt verschließt Thomas die Rückkehr in seine Welt, die "Standard"-Welt (Standard ist sinnigerweise der Name der verlassenen Tankstelle, von der aus Thomas und andere in ihre Welt gebracht werden). Er verweigert sich der abgeschmackten Normalität und wird aus seinem mediokren Paradies verwiesen, in eine Welt, die Jens Lien erneut nur andeutet, dieses Mal über das Geräusch eines aufheulenden Schneesturms.
Was sich hier wie schwere und letztlich auch deprimierende Kost liest, verkommt in The Bothersome Man aber nie zum schwermütigen Drama. Dafür sorgen der lakonische Tonfall und der skurrile Humor des Films, der weder seine Geschichte noch seine Hauptfigur zu ernst nimmt. Lien und seine Crew arbeiten hierbei mit aussagekräftigen, langen Einstellungen, die oft witzige und verstörende Komponenten enthalten. Federball spielende Männer, dekorativ Erbrochenes auf der Herrentoilette und roboterartig zungenküssende Pärchen mit starrem Blick schaffen eine Mischung aus Amüsement, Faszination und Ekel und dienen dabei zugleich immer dem Anliegen der Geschichte. Überhaupt wird in The Bothersome Man viel filmisch erzählt; über komponierte Bilder, Töne, Farbwahl und wiederkehrende Motive, wie den bereits erwähnten Apfelkuchen oder auch die Bedeutung von Inneneinrichtung.
Am Ende fügen sich so scheinbar nebensächliche Szenen zu einem stimmigen Gesamtbild, und es entsteht ein Film über die Frage nach (individuellem) Glück, nach der Sinnhaftigkeit eines Strebens nach diesem Glück und der Möglichkeit es zu erreichen. Und damit es nicht zu meditativ wird, lockert der Film sein Anliegen über einigen wohldosierten - ja, man glaubt es kaum - Splatter auf: etwa in der Mitte des Films findet sich die Szene wieder, in der Andreas sich vor die U-Bahn wirft. Könnte tragisch sein, bewegt sich aber eher auf der Humorebene von Filmen wie Severance oder Dead & Breakfast.

war im Metropolis 8, Frankfurt

36 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

The Bothersome Man
  • Score [BETA]: 69
  • f3a.net: 6.9/10 36
Bewertungen von IMDb werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-03-29 14:03

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