Reviewer
Herr_Kees * 5.0
Andreas wants to kill himself
Der "störende Mann" ist bestimmt einer der seltsamsten Filme des Festivals, wenn auch leider nicht derart abgefahren, dass er wirklich zu faszinieren wüsste: Andreas wirft sich vor die S-Bahn und findet sich danach in einer Zwischenhölle skandinavischer Zufriedenheit wieder, in der jeder Selbstmord- oder Verstümmelungsversuch Erinnerungen an GROUNDHOG DAY hervorruft.
Das Ganze klingt witzig und spannend, erinnert jedoch von der Inszenierung eher an skurrile Depri-Dramen wie SONGS FROM THE SECOND FLOOR und hinterlässt eine höchst depressive Grundstimmung.
Fazit: Mehr Tragödie als Komödie, mehr deprimierend als böse, mehr grau als bunt.
Das Ganze klingt witzig und spannend, erinnert jedoch von der Inszenierung eher an skurrile Depri-Dramen wie SONGS FROM THE SECOND FLOOR und hinterlässt eine höchst depressive Grundstimmung.
Fazit: Mehr Tragödie als Komödie, mehr deprimierend als böse, mehr grau als bunt.
war im Metropol 2, Stuttgart
Timo S * 9.0
Dieser Review enthält SPOILER!Heaven can’t wait.
Fühlt sich an wie Michel Gondry auf Acid. Jens Lien kreiert dem Zuschauer ein Märchen für Erwachsene, in dem es darum geht was Habgier und ständige Unzufriedenheit mit uns anstellen, schlussendlich sogar wo diese uns hinführen. Die depressive Hauptfigur Andreas nimmt sich das Leben und landet in einer Art Zwischenhölle. Eine surreale Welt im IKEA-Verve, in der jeder Mensch glücklich ist. Trond Fausa Aurvaag verkörpert diesen Menschen unglaublich toll und sprüht nur so vor Charme und sympathischer Art.
THE BOTHERSOME MAN besitzt einen ganz eigenen Flair. Man durchschreitet diese Welt als wäre man auf Gras. Alles ist leicht, unbeschwert und liebenswert. Fast ist man soweit diese Personen für den Manufactured-Life-Kosmos zu beneiden. Doch der Film wäre nur halb so stark, wenn er es bei diesen Gefühlen belassen würde. Schnell macht sich im Zuschauer, aber auch in der Hauptfigur, eine starke Sehnsucht breit: Das Verlangen nach Makeln, die wir in unserem Alltag zu lieben gelernt haben, aber auch nach den kleinen Dingen im Leben, die selbiges erst lebenswert machen. Deswegen dauerte es nicht lang, da hatte mich der Film. Ich versank im Strudel aus Heimweh, wollte mit Andreas gegen diese genormte Plastikwelt ankämpfen.
Jens Lien’s Film zeigt auf unbeschwerte, unverkrampfte und fast schon spielerische Art, dass nicht immer alles schöner, größer und besser sein muss. Wenn wir uns im Steigerungswahn verlieren, bleibt meist keine Zeit mehr unser Leben auszukosten und die limitierte Zeit zu genießen. Schnell stehen wir am Ende der Lebenslinie und nichts kann deprimierender sein als danach zu suchen, womit wir unsere gesamte Zeit verbracht haben. Irgendwann sind wir am Boden der eigenen Möglichkeiten angekommen. Genau wie Andreas. Er hat die letzte Chance verspielt, muss nun die bittere Pille schlucken. Mit dem Bus macht er sich auf in Richtung Nirgendwo. Endstation. Das ist hart - aber konsequent. Und da soll noch einmal jemand sagen, dass THE BOTHERSOME MAN nichts zu erzählen hätte. Er erzählt nicht nur eine Geschichte, er philosophiert sogar darüber. Wenn man Filme schätzt, die sich wahrhaftig mit dem Leben auseinandersetzen, ist man bei BOTHERSOME MAN gut aufgehoben.
THE BOTHERSOME MAN besitzt einen ganz eigenen Flair. Man durchschreitet diese Welt als wäre man auf Gras. Alles ist leicht, unbeschwert und liebenswert. Fast ist man soweit diese Personen für den Manufactured-Life-Kosmos zu beneiden. Doch der Film wäre nur halb so stark, wenn er es bei diesen Gefühlen belassen würde. Schnell macht sich im Zuschauer, aber auch in der Hauptfigur, eine starke Sehnsucht breit: Das Verlangen nach Makeln, die wir in unserem Alltag zu lieben gelernt haben, aber auch nach den kleinen Dingen im Leben, die selbiges erst lebenswert machen. Deswegen dauerte es nicht lang, da hatte mich der Film. Ich versank im Strudel aus Heimweh, wollte mit Andreas gegen diese genormte Plastikwelt ankämpfen.
Jens Lien’s Film zeigt auf unbeschwerte, unverkrampfte und fast schon spielerische Art, dass nicht immer alles schöner, größer und besser sein muss. Wenn wir uns im Steigerungswahn verlieren, bleibt meist keine Zeit mehr unser Leben auszukosten und die limitierte Zeit zu genießen. Schnell stehen wir am Ende der Lebenslinie und nichts kann deprimierender sein als danach zu suchen, womit wir unsere gesamte Zeit verbracht haben. Irgendwann sind wir am Boden der eigenen Möglichkeiten angekommen. Genau wie Andreas. Er hat die letzte Chance verspielt, muss nun die bittere Pille schlucken. Mit dem Bus macht er sich auf in Richtung Nirgendwo. Endstation. Das ist hart - aber konsequent. Und da soll noch einmal jemand sagen, dass THE BOTHERSOME MAN nichts zu erzählen hätte. Er erzählt nicht nur eine Geschichte, er philosophiert sogar darüber. Wenn man Filme schätzt, die sich wahrhaftig mit dem Leben auseinandersetzen, ist man bei BOTHERSOME MAN gut aufgehoben.
war im Metropolis 8, Frankfurt
zoulwags S * 10.0
Dieser Review enthält SPOILER!A Life Less Ordinary
Außer der Spoiler-Warnung noch die Warnung, dass dieser Review lang ist und ich "The Bothersome Man" wirklich brillant fand, obwohl er "doch eher ein arte-Film ist, als dass er auf das Festival gehört" (O-Ton eines Zuschauers in FfM). Wer also auch mal gerne einen arte-Film guckt, kann ja in den Text mal reinlesen...
Ein Mann wirft sich vor eine U-Bahn - ein Schnitt - und der Zuschauer befindet sich in einem öden Niemandsland, in dem an einer verlassenen Tankstelle ein einsamer, bärtiger Mann, den man nur mit Mühe als den Selbstmörder der ersten Szene identifizieren kann, von einem anderen empfangen, in ein Auto gesetzt und in die Zivilisation gefahren wird.
Die ersten 5 Minuten von The Bothersome Man lassen auf schwere & schwermütige Kost schließen. Auch für das Tempo des Films macht Regisseur Jens Lien dem Zuschauer zunächst keine Hoffnung: er lässt sich Zeit für die Fahrt aus der Einöde; ab und an wird mal ein Vorspann-Titel eingeblendet, aber eilig hat man es hier nicht.
Trotzdem ist The Bothersome Man keine Minute zu lang, nie langweilig und - trotz seiner Thematik und des wenig hoffnungsvollen Endes - höchst unterhaltsam.
Der sich sorgende Mann, der dem Film den Titel gibt, ist Andreas. Er lebt in einer gleichermaßen vertraut und fremd scheinenden (Parallel-)Welt, von der er nicht weiß, wie er in sie geraten ist. Die Welt, die der Film entwirft, ist eine Welt ohne Sorgen und Nöte, materieller Wohlstand ist vorhanden, es ist aber auch eine Welt ohne sinnliches Erleben und Gefühle. Schon früh findet sich eine zentrale Szene, in der sich ein Betrunkener in der öffentlichen Toilette einer Bar darüber beklagt, dass alles gleich schmecke und dass er nichts riechen könne. Frustrationen, die Andreas, wenn auch zunächst unbewusst, nachvollziehen kann: er folgt dem Fremden und stößt über ihn auf eine andere Welt, eine Welt der Töne, des Kinderlachens, eine Welt, in der es nach frisch gebackenem Apfelkuchen duftet.
Erst spät im Film offenbart uns Lien einen Blick in diese ideale "Apfelkuchenwelt"; es ist nur eine Einstellung, die jedoch Andreas’ Welt, wie sie der Film über anderthalb Stunden entwickelt hat, konterkariert: warme Farben, behagliches Chaos in einer Küche. Andreas darf ein Stück des Apfelkuchens kosten - und isst damit vom Baum der Erkenntnis. Der Einblick in die Apfelkuchenwelt verschließt Thomas die Rückkehr in seine Welt, die "Standard"-Welt (Standard ist sinnigerweise der Name der verlassenen Tankstelle, von der aus Thomas und andere in ihre Welt gebracht werden). Er verweigert sich der abgeschmackten Normalität und wird aus seinem mediokren Paradies verwiesen, in eine Welt, die Jens Lien erneut nur andeutet, dieses Mal über das Geräusch eines aufheulenden Schneesturms.
Was sich hier wie schwere und letztlich auch deprimierende Kost liest, verkommt in The Bothersome Man aber nie zum schwermütigen Drama. Dafür sorgen der lakonische Tonfall und der skurrile Humor des Films, der weder seine Geschichte noch seine Hauptfigur zu ernst nimmt. Lien und seine Crew arbeiten hierbei mit aussagekräftigen, langen Einstellungen, die oft witzige und verstörende Komponenten enthalten. Federball spielende Männer, dekorativ Erbrochenes auf der Herrentoilette und roboterartig zungenküssende Pärchen mit starrem Blick schaffen eine Mischung aus Amüsement, Faszination und Ekel und dienen dabei zugleich immer dem Anliegen der Geschichte. Überhaupt wird in The Bothersome Man viel filmisch erzählt; über komponierte Bilder, Töne, Farbwahl und wiederkehrende Motive, wie den bereits erwähnten Apfelkuchen oder auch die Bedeutung von Inneneinrichtung.
Am Ende fügen sich so scheinbar nebensächliche Szenen zu einem stimmigen Gesamtbild, und es entsteht ein Film über die Frage nach (individuellem) Glück, nach der Sinnhaftigkeit eines Strebens nach diesem Glück und der Möglichkeit es zu erreichen. Und damit es nicht zu meditativ wird, lockert der Film sein Anliegen über einigen wohldosierten - ja, man glaubt es kaum - Splatter auf: etwa in der Mitte des Films findet sich die Szene wieder, in der Andreas sich vor die U-Bahn wirft. Könnte tragisch sein, bewegt sich aber eher auf der Humorebene von Filmen wie Severance oder Dead & Breakfast.
Ein Mann wirft sich vor eine U-Bahn - ein Schnitt - und der Zuschauer befindet sich in einem öden Niemandsland, in dem an einer verlassenen Tankstelle ein einsamer, bärtiger Mann, den man nur mit Mühe als den Selbstmörder der ersten Szene identifizieren kann, von einem anderen empfangen, in ein Auto gesetzt und in die Zivilisation gefahren wird.
Die ersten 5 Minuten von The Bothersome Man lassen auf schwere & schwermütige Kost schließen. Auch für das Tempo des Films macht Regisseur Jens Lien dem Zuschauer zunächst keine Hoffnung: er lässt sich Zeit für die Fahrt aus der Einöde; ab und an wird mal ein Vorspann-Titel eingeblendet, aber eilig hat man es hier nicht.
Trotzdem ist The Bothersome Man keine Minute zu lang, nie langweilig und - trotz seiner Thematik und des wenig hoffnungsvollen Endes - höchst unterhaltsam.
Der sich sorgende Mann, der dem Film den Titel gibt, ist Andreas. Er lebt in einer gleichermaßen vertraut und fremd scheinenden (Parallel-)Welt, von der er nicht weiß, wie er in sie geraten ist. Die Welt, die der Film entwirft, ist eine Welt ohne Sorgen und Nöte, materieller Wohlstand ist vorhanden, es ist aber auch eine Welt ohne sinnliches Erleben und Gefühle. Schon früh findet sich eine zentrale Szene, in der sich ein Betrunkener in der öffentlichen Toilette einer Bar darüber beklagt, dass alles gleich schmecke und dass er nichts riechen könne. Frustrationen, die Andreas, wenn auch zunächst unbewusst, nachvollziehen kann: er folgt dem Fremden und stößt über ihn auf eine andere Welt, eine Welt der Töne, des Kinderlachens, eine Welt, in der es nach frisch gebackenem Apfelkuchen duftet.
Erst spät im Film offenbart uns Lien einen Blick in diese ideale "Apfelkuchenwelt"; es ist nur eine Einstellung, die jedoch Andreas’ Welt, wie sie der Film über anderthalb Stunden entwickelt hat, konterkariert: warme Farben, behagliches Chaos in einer Küche. Andreas darf ein Stück des Apfelkuchens kosten - und isst damit vom Baum der Erkenntnis. Der Einblick in die Apfelkuchenwelt verschließt Thomas die Rückkehr in seine Welt, die "Standard"-Welt (Standard ist sinnigerweise der Name der verlassenen Tankstelle, von der aus Thomas und andere in ihre Welt gebracht werden). Er verweigert sich der abgeschmackten Normalität und wird aus seinem mediokren Paradies verwiesen, in eine Welt, die Jens Lien erneut nur andeutet, dieses Mal über das Geräusch eines aufheulenden Schneesturms.
Was sich hier wie schwere und letztlich auch deprimierende Kost liest, verkommt in The Bothersome Man aber nie zum schwermütigen Drama. Dafür sorgen der lakonische Tonfall und der skurrile Humor des Films, der weder seine Geschichte noch seine Hauptfigur zu ernst nimmt. Lien und seine Crew arbeiten hierbei mit aussagekräftigen, langen Einstellungen, die oft witzige und verstörende Komponenten enthalten. Federball spielende Männer, dekorativ Erbrochenes auf der Herrentoilette und roboterartig zungenküssende Pärchen mit starrem Blick schaffen eine Mischung aus Amüsement, Faszination und Ekel und dienen dabei zugleich immer dem Anliegen der Geschichte. Überhaupt wird in The Bothersome Man viel filmisch erzählt; über komponierte Bilder, Töne, Farbwahl und wiederkehrende Motive, wie den bereits erwähnten Apfelkuchen oder auch die Bedeutung von Inneneinrichtung.
Am Ende fügen sich so scheinbar nebensächliche Szenen zu einem stimmigen Gesamtbild, und es entsteht ein Film über die Frage nach (individuellem) Glück, nach der Sinnhaftigkeit eines Strebens nach diesem Glück und der Möglichkeit es zu erreichen. Und damit es nicht zu meditativ wird, lockert der Film sein Anliegen über einigen wohldosierten - ja, man glaubt es kaum - Splatter auf: etwa in der Mitte des Films findet sich die Szene wieder, in der Andreas sich vor die U-Bahn wirft. Könnte tragisch sein, bewegt sich aber eher auf der Humorebene von Filmen wie Severance oder Dead & Breakfast.
goutierte im Metropolis 8, Frankfurt
kinokoller * 10.0
Perfect World
THE BOTHERSOME MAN bietet eine beklemmende Geschichte mit kargem Setting in dem MOMOs graue Herren sich wohl fühlen würden, einen surrealen Einstieg der optisch an die ’88er Verfilmung von Waechters KIEBICH UND DUTZ erinnert, den grausigsten Kuss der Filmgeschichte, gute Musikuntermalung und viel schwarzen Humor (u.a. die amüsanteste U-Bahn Fahrt seit KONTROLL).
Der Film beginnt ruhig und steigert sich von Minute zu Minute. Die Gratwanderung zwischen Unbehagen und Tragikomik gelingt mühelos. Immer wieder haut der Regisseur zwischendurch mit der imaginären Axt in das Geschehen und provoziert exzessive Szenen die im Gegensatz zum tristen Anderland-Leben stehen, aber niemanden ausser dem Hauptdarsteller zu interessieren scheinen.
Inhaltlich kritisiert Jens Lien die auf Konsum und Materialismus getrimmte öde Welt Ottonormal-Erwachsener. Auch auf die Überalterungsprobleme einer auf Egoismus und Oberflächlichkeiten gepolten Yuppie-Gesellschaft wird dezent hingewiesen ... schliesslich gibt’s in Anderland keine Kinder.
ANDERLAND (dt. Titel) ist neben EX DRUMMER für mich der beste Film des vergangenen Kinojahres. Aussergewöhnlich und unvorhersehbar, so gefällt’s.
Der Film beginnt ruhig und steigert sich von Minute zu Minute. Die Gratwanderung zwischen Unbehagen und Tragikomik gelingt mühelos. Immer wieder haut der Regisseur zwischendurch mit der imaginären Axt in das Geschehen und provoziert exzessive Szenen die im Gegensatz zum tristen Anderland-Leben stehen, aber niemanden ausser dem Hauptdarsteller zu interessieren scheinen.
Inhaltlich kritisiert Jens Lien die auf Konsum und Materialismus getrimmte öde Welt Ottonormal-Erwachsener. Auch auf die Überalterungsprobleme einer auf Egoismus und Oberflächlichkeiten gepolten Yuppie-Gesellschaft wird dezent hingewiesen ... schliesslich gibt’s in Anderland keine Kinder.
ANDERLAND (dt. Titel) ist neben EX DRUMMER für mich der beste Film des vergangenen Kinojahres. Aussergewöhnlich und unvorhersehbar, so gefällt’s.
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The Bothersome Man
- Score [BETA]: 69
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