Menü

Review Day Watch

Finden

Literaturverfilmungen, die keine sind, Teil 2
von D.S.

Mit dem schon im Januar 2006 (!) in Rußland gestarteten "Day Watch" verhält es sich genau wie mit "Night Watch", dem ersten Teil des Fantasy-Blockbusters nach den "Wächter"-Romanen von Sergej Lukianenko: es fällt einigermaßen schwer, den Film objektiv zu beurteilen, wenn man die Buchvorlagen kennt. Und das meine ich weniger, weil Figuren und Handlungsorte teilweise vielleicht ganz anders aussehen, als man sich das beim Lesen selbst vorgestellt hat - das ist ja nun mal bei jeder Literaturverfilmung so und darüber muß man hinwegsehen können (selbst, wenn es manchmal schwer fällt).

Nein, das Problem ist eher, daß sich die Verfilmungen in zwei Punkten ganz entscheidend von den Büchern wegbewegen. Da wäre einmal der Storyaufbau selbst: die bislang vier Bücher der Serie erzählen jeweils drei Geschichten, die inhaltlich zusammenhängen. Je nach Titel des Buches steht dabei ein anderer Bereich der "Zwischenwelt" der "Anderen" im Mittelpunkt. Hauptfigur bleibt zwar stets der Nachtwachen-Mitarbeiter Anton Gorodezki, doch wird zum Beispiel das Buch "Wächter des Tages" größtenteils aus der Subjektiven von Dunklen, also scheinbar "bösen" Zauberern, Vampiren, Tiermenschen erzählt.

Der Film nun macht keinerlei Anstalten, dieses Konzept aufzugreifen. Wie schon bei "Night Watch" erleben wir auch hier den absolut überwiegenden Teil des Geschehens an der Seite von Anton mit; ein Geschehen wiederum, das fast ausschließlich als Fortsetzung des Vorhergehenden zu bezeichnen ist. Im Gegensatz zum Buch geht es hier also nicht um neue Blickwinkel, aus denen der "Streit" zwischen Lichten und Dunklen betrachtet werden kann. Es geht übrigens auch so gut wie überhaupt nicht um die Geschichten aus dem zweiten Buch: tatsächlich ist die Handlung der "Wächter"-Filme in beiden Teilen ein kruder Mix aus einigen Geschichten und Storyelementen der ersten zwei Bücher, wobei mit dem Stoff mehr als frei umgegangen wird. Hier möchte ich nur auf die Figur des jungen Jegor hinweisen, der vom ersten Film ja bizarrerweise zu Antons Sohn gemacht wurde, wozu es in den Büchern keinerlei Entsprechung gibt. Und auch ansonsten sind die Beziehungen einiger Figuren und Handlungsstränge zueinander manchmal extrem konträr zu denen in den Romanvorlagen.

Das muß ja nun nichts Schlimmes sein. Und in der Tat funktionieren "Night Watch" und "Day Watch" als Einheit sehr gut. Man darf eben nur nicht den Fehler begangen haben, die Bücher vor Sichtung der Filme zu lesen, sonst kommt man sich stellenweise schwer irritiert vor. Dennoch bleibt die Frage, warum der zweite Film überhaupt unter dem Namen "Day Watch" verkauft wird. Denn abgesehen von der identischen Erzählperspektive des Films entstammen auch die hier gesponnenen Handlungsfäden zu 90% dem ersten Roman, "Wächter der Nacht". Die zentrale Geschichte, um die herum sich der Film nach einem erneut furiosen Intro entwickelt, ist die der "Kreide des Schicksals", eines sagenumwobenen Artefakts, mit dem die Vergangenheit verändert werden kann und um dessen Besitz Tag- und Nachtwache mit unterschiedlichsten Mitteln kämpfen - was de facto Inhalt der dritten Erzählung aus "Wächter der Nacht" ist. Vielleicht kein Zufall also, und vor allen Dingen ungewollt (?) ehrlicher, daß "Day Watch" (zumindest laut imdb.com) im US-Fernsehen als "Night Watch 2" angekündigt wird...

Die im Vergleich zu den Büchern fehlende Perspektivverschiebung des Films führt zum zweiten Punkt, der für mich ein ernsthaftes Problem der Leinwandumsetzungen darstellt. Sicher, wir haben hier für Westeuropäer erfrischend unkonventionell erzählte, reichhaltig ausgeschmückte Fantasy-Action vor uns, die definitiv etwas ganz Eigenes darstellt. Aber sie ist eben auch nicht mehr als das. Bösartig formuliert: trivialste Unterhaltung. Geht ja für sich genommen absolut in Ordnung, tut aber weh, wenn man die Bücher kennt. Denn mit fortschreitendem Handlungsverlauf entfernen diese sich immer mehr von ihrer Story-Oberfläche und rücken mehr und mehr philosophische Überlegungen in den Mittelpunkt. Fragen nach Moral, nach dem Maß, mit dem wir uns und andere messen, nach den Beweggründen menschlichen Handelns, nach Lebenssinn und -zielen. Klar, das geschieht niemals auf eine dröge, trockene, gar oberlehrerhafte Weise: das verhindern ja die phantasie-, horror- und actiongetränkten Sujets selbst. Kontinuierlich passiert in den Büchern etwas (bzw. eine ganze Menge), doch vorrangig über Erkenntnisse und Überlegungen Antons sowie über seine Unterhaltungen mit Geser, dem Chef der Nachtwache, erschließen sich dem Leser eben viel tiefergehende Aussagen. Was die Bücher, nebenbei gesagt, zu einer ganz dicken Empfehlung für alle macht, die ja eigentlich sehr "schwere", elementar philosophische Themen einmal auf sehr locker inszenierte, spannende Weise angehen möchten. Und auch mit den teils sehr radikalen Konklusionen leben können, die der Autor zieht.

Konklusionen, welche die Filme überhaupt nicht "belasten". Abgesehen von zwei, drei Alibi-Sprüchen Antons und Jegors, die zudem nicht immer sehr glaubwürdig herüberkommen, bietet "Day Watch" nur Aussagen, die im Zusammenhang mit den von ihm erzählten Geschichten stehen; das Universum der Erzählung selbst wird also nicht zugunsten des universellen Ansatzes der Bücher verlassen. Lichte sind Gute, Dunkle sind Böse. Die Fronten sind und bleiben, wenn man ehrlich ist, stets sehr sehr klar. Womit das Geschehen doch vergleichsweise eindimensional erscheint... vergleichsweise. Aber dieser Vergleich ist vermutlich etwas unfair.

Was sagt man nun Faires zum Film? Vermutlich am besten das: wer "Night Watch" mochte, wird auch hier zufrieden sein und sich ggf. sogar ein Stück besser unterhalten fühlen als beim Vorgänger. Denn im Wesentlichen bietet "Day Watch" vor allem "more of the same", aber spürbar mit teils deutlich mehr Budget umgesetzt. Von einigen wieder eher peinlichen CGI-Effekten abgesehen, kann der Film visuell absolut überzeugen, ist teilweise sogar sehr mächtig und inszeniert eine apokalyptische Atmosphäre auf umfassend beeindruckende Weise. Leider ist er andererseits aber genauso trashig wie der erste Film - was insbesondere die Zeichnung der meisten Figuren, ihre Kleidung, aber auch ihre Gestik und Mimik meint. Wir haben also auch hier gelbe Müllwagen-Lookalikes als Einsatzfahrzeuge der Lichten, an Zuhälter gemahnende Oberbösewichte, wie derangierte Obdachlose aussehende Engel des Guten - und ein paar echt lahme Scherzchen am Rande.

Aber wie gesagt, wer mit dem Look und der Erzählweise des Vorgängers klar kam, sollte auch an "Day Watch" nichts auszusetzen haben. Dieselben Figuren, dieselben Geschichten wie im ersten Teil - nur weitergesponnen und ergänzt. Das heißt natürlich gleichzeitig auch, daß Leute, die den Vorgängerfilm verschmäht haben, hiermit nicht unbedingt allzu viel anfangen können dürften. Denn man wird als Betrachter weitgehend unvermittelt ins Geschehen gestoßen, Charaktere werden nicht noch einmal eingeführt, alles schließt sich nahtlos an den ersten Teil an und kann für sich alleine genommen nicht wirklich bestehen und/oder Sinn ergeben.

Zudem hatte ich beim Sehen manchmal den Eindruck, daß man auch ganz grundsätzlich an ein paar Stellen auf dem Schlauch stehen könnte, wenn man die Bücher nicht kennt - da teils doch eher ein wenig wirr oder überladen erzählt wird. Daneben gibt es aber auch Sequenzen, die sich enorm ziehen; da und dort hätte (gerade im zweiten Filmdrittel) etwas Straffung gut getan. Allerdings kenne ich nur die russische Fassung; wie beim ersten Teil wird die internationale Version wohl partiell umgeschnitten und gekürzt sein. Könnte dem Ganzen gut tun.

Also: "Day Watch" ist Fantasy-Action-Trash der gehobenen Erzählkategorie. Originalität kann man dem Film nicht absprechen; auch nicht den Anspruch, eine umfassende Geschichte zu erzählen. Wobei gerade dieser Anspruch stellenweise auch zur Lächerlichkeit führt, denn seien wir ehrlich: großes Kino sieht anders aus. Kann man sich, mit Abstrichen, aber wiederum gut ansehen; auch wenn die Kastration der Erzählung gegenüber der Buchvorlage schon schmerzhaft ist. 6,5 von 10 Punkten.

46 Bewertungen auf f3a.net

Zurück

Bewertungen

Day Watch
  • Score [BETA]: 54
  • f3a.net: 5.4/10 46
Bewertungen von IMDb werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-19 07:26

Archiv Suche


oder ?
crazy