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Review Evilenko

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Nichts ist grausamer als die Realität.
von D.S.

Andrej Romanowitsch Chikatilo, der "Ripper von Rostow", ging als einer der grausamsten Serienmörder aller Zeiten in die Geschichte ein. Er tötete mehr als 50 Menschen, vor allem Kinder beiderlei Geschlechts, auf bestialische Weise, vergewaltigte sie mit einem Messer, stach ihnen die Augen aus, entfernte ihre Sexualorgane und verzehrte diese des öfteren. Dabei war Chikatilo aber nicht etwa ein tumber Schlächter, sondern, was vielleicht besonders erschreckend ist, ein hochintelligenter, gebildeter Mensch.

"Evilenko" ist nun nach "Citizen X", den ich leider nicht kenne, der zweite Versuch, sich diesem monsterhaften Wesen filmisch zu nähern. Ein sehr freier Versuch, der sich in Teilen meilenweit von den tatsächlichen Daten und Fakten weg bewegt und Geschehnisse in seine Erzählung einbaut, die in der Realität nicht ansatzweise eine Entsprechung finden. Grundsätzlich ist dagegen natürlich nichts einzuwenden, solange es dem filmischen Fluß und/oder dem Verständnis der dargestellten Figur und ihrer Taten weiterhilft. In diesem Fall aber trifft das nicht unbedingt zu, im Gegenteil: je weiter sich der Film von seiner "Vorlage" entfernt, desto schwächer wird er, desto unglaubwürdiger, konstruierter und mitunter alberner wirkt das auf der Leinwand Gezeigte. Insbesondere, was die Arbeit der Ermittler angeht, strickt "Evilenko" sich hier eine fast vollkommen realitätsfreie Geschichte zusammen, die zu Szenen führt, die man nur noch absurd nennen kann. Immerhin sind jene ungesehen und werden vermutlich lange erinnert werden, vor allem, da sie sehr intensiv inszeniert und gespielt sind.

Wirklich problematisch finde ich die "phantasievolle" Herangehensweise des Films aber, wenn es um die Figur und die Taten des Killers geht. "Evilenko" mag zwar durch den Blick in finsterste seelische Abgründe schockieren - geht dabei aber nicht so weit wie die Realität. Knapp gesagt: er verharmlost Chikatilo, so seltsam das auch klingen mag. Einerseits betrifft das die Darstellung seiner Vorgehensweise und seines Umgangs mit den Leichen der Opfer, was vielleicht in erster Linie budgetäre Gründe gehabt haben könnte. Andererseits aber betrifft das die Rekonstruktion seiner (familiären) Hintergründe, seiner Ehe und seines Sexuallebens. Hier läßt der Film den Eindruck entstehen, der Täter sei nach einfachen Schemata zu kategorisieren - und schreibt ihm zudem fast übernatürliche Fähigkeiten zu. Ich kann nur mutmaßen, daß man den Weg dieser extremen Vereinfachung gewählt hat, weil man der Meinung war, die Realität sei vom Publikum zu schwer zu "schlucken", zu schwer vorstellbar und akzeptierbar. Tatsächlich aber ist für mich gerade diese Simplifizierung, die Überbetonung einzelner Merkmale bei völliger Vernachlässigung anderer, Hauptgrund, dem Film seine Geschichte nicht ganz abzukaufen. Hier erscheint einfach einiges zu unrealistisch - und das ist es eben auch tatsächlich.

Nun könnte das schon reichen, um einen solchen Film, der einen großen Teil seines Schreckens nun mal aus seiner realen Vorlage bezieht, als ungeschickt zusammengezimmertes, exploitatives Werk zu disqualifizieren. So verhält es sich dann aber doch nicht, denn der Film hat einige Stärken, die über den fragwürdigen und teils unbeholfenen Umgang mit Realität und Fiktion hinweg trösten können. Zum einen ist hier der großartige, düstere Soundtrack Angelo Badalementis zu nennen. Zum anderen das liebevoll und detailliert konstruierte Setting, das den Betrachter in die Sowjetunion der 80er Jahre hineinversetzen kann (wenn auch einige der ohnehin oft eher hölzernen Dialoge durch den Anschein schlechter Synchronisation hier irritieren). Die größte Stärke des Films aber ist zweifellos Malcom McDowell, der hier die nach "Clockwork Orange" vielleicht beste Leistung seiner Karriere abliefert. Er verkörpert die eher platt in Andrej Evilenko umgetaufte Figur Chikatilos mit beängstigender Intensität, die Bestie in Menschengestalt kauft man ihm jederzeit ab, und seine Ausstrahlung ist dabei tatsächlich finsterer und unergründlicher als jene von Anthony Hopkins’ Hannibal Lecter.

Zusammengenommen ist "Evilenko" ein durchaus sehenswerter, packender, morbide faszinierender Film - der es mit dem Grauen der Realität jedoch nicht ganz aufnehmen kann und ein paar zu simple Erklärungsmuster konstruiert. Fast schon ärgerlich simple - deshalb von mir nur 6,5 Punkte.

PS: Für alle, die am realen Fall interessiert sind:
http://www.crimelibrary.com/serial_killers/notorious/chikatilo/coat_1.html

goutierte im Metropolis, Frankfurt

11 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Evilenko
  • f3a.net: 7.3/10 11
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-03-29 08:57

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