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Review H6, Diary of a Serial Killer

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Wenn ich groß bin, werde ich Serienmörder
von D.S.

Nach dem blind rasenden Mord an seiner Freundin kommt Herr Frau für 15 Jahre ins Gefängnis und beschließt dort, in Zukunft nur noch auf nüchterne Weise, geplant, detailliert vorbereitet und vor allem genauestens protokollierend zu töten. Außerdem in einer gewissen Quantität, denn er will es zur Serienmörderlegende bringen - und genau deshalb legt er sein Tagebuch an, in dem er alles Relevante zu seinen Taten festhält. Schließlich sollen später Medien wie Kriminalexperten ausreichend Stoff zur Analyse und Nachrichtenverbreitung haben. Das ist wichtig, will man es zu etwas bringen. Genauso wichtig übrigens wie der feste Glaube an Gott und die Familie sowie eine euphemistisch "seltsam" zu nennende Weltsicht, nach der man es unter anderem als falsch und böse empfindet, Frauen zu schlagen, und das auch lautstark kundtut. Sie zu vergewaltigen und bei lebendigem Leibe zu zersägen - nun, das ist ein anderes Thema. Aber die Hauptsache ist doch sowieso: immer locker bleiben...

"H6" ist ein sehr merkwürdiger Film, in seiner Inszenierung relativ einzigartig und in der von ihm vermutlich angestrebten Deutung durch den Zuschauer wohl als äußerst intelligent zu bezeichnen. Er läßt uns an den Taten des schizophren wirkenden Psychopathen Frau, der ein ehemaliges Bordell von seiner Tante geerbt hat und das leerstehende Zimmer Nr. 6 in seinen privaten Schlachthof bzw. sein Sündenreinigungszimmer verwandelt, weitestgehend aus der Sicht seines Protagonisten teilnehmen. Eines Protagonisten, der irgendwie reichlich ironisch mit sich und seinen Taten umzugehen scheint - manchmal wirkt es fast so, als sei er sich selbst über die Absurdität seiner Doppelmoral mehr als bewußt. So erscheint sein Tun uns auch kaum mal als unmittelbar grausam, viel eher "geschieht es eben" so, alles locker-flockig und mit cleverem Charisma unterfüttert.

Da uns auf einer rationalen Ebene aber natürlich dennoch klar ist, wie brutal, gnadenlos und pervertiert Frau und seine Folterkammer sind, ist die Idee des Films vermutlich, uns auf einer Meta-Ebene erst recht schlucken zu lassen - und letztendlich wohl, uns über die mangelnde Distanz und Realitätsentfremdung klar werden zu lassen, die Filme, Sensationsberichte und generell die popkulturelle Phänomen-Wahrnehmung von Serienmördern zur Folge haben können.

Ein sehr interessanter Ansatz, sehr lobenswert, und in der Theorie tatsächlich reichlich verstörend. Das Problem bei "H6" ist nur, daß diese Meta-Ebene vom Zuschauer erst mal erreicht werden muß, und das wird sie (wenn überhaupt) nur auf einem rationalen Level. In der Nachbetrachtung, wie ich es gerade bei mir selbst feststellen kann. Während des Sehens selbst berührt der Film dagegen fast überhaupt nicht - das Geschehen fließt an einem vorbei, und dank der "spielerischen" Inszenierung schockiert das nüchterne Abschlachten eben so gut wie gar nicht.

Budgetprobleme tragen noch ihren Teil dazu bei (oder jedenfalls deute ich den Mangel an Zeigefreudigkeit mal als solche): es wird eben NICHT draufgehalten, die Vergewaltigungen sind nur als solche zu erahnen, die Verstümmelungen werden uns auch nur durch Geräusche und spritzendes Kunstblut angezeigt. Nicht, daß ich so etwas unbedingt sehen MUSS, aber die Schmerzhaftigkeit entsprechender Szenen etwa in "Irreversible" oder aber in "Hostel" kann somit natürlich nicht ansatzweise erreicht werden - und damit sinkt automatisch auch der (vermutlich anvisierte) Irritationsgrad.

An dieser Stelle muß ich mich dann doch zur Abwechslung mal wieder über das Programmheft beschweren. Mit einer derart reißerischen Ankündigung lockt man das falsche Publikum an bzw. weckt falsche Erwartungen - die der Film nicht erfüllen kann und so wohl auch gar nicht will. Eher mal ein Schuß ins eigene Bein, würde ich sagen; die Truppe echt männlicher Gerade-Mal-18jähriger Frankfurter, die über die mangelnde explizite Brutalität (und den spanischen Ton, und dann nicht mal deutsche Untertitel!) meckerten, werden wir wohl jedenfalls nicht so bald bei spladderig beschriebenen FFF-Filmen wiedersehen. Andererseits - auch kein Verlust.

Wie auch immer: von seiner Idee her ist "H6" absolut lobenswert und originell, von seiner Inszenierung her ungewöhnlich und schon deshalb durchaus sehenswert. Auch der Hauptdarsteller vermag zu beeindrucken, er hat Charisma und strahlt eine unterschwellige Gestörtheit aus, die überzeugen kann. Auf seiner Erzählebene weist der Film aber zu viele Schwächen auf, er arbeitet nicht stringent genug, hat Längen und vermag es viel zu selten, auch emotional zu berühren. Über weite Strecken läßt er den Betrachter einfach kalt. Und wenn das auch in intellektueller Hinsicht Mittel zum Zweck sein mag, versagt "H6" hier als Film. Darum nur 6 Punkte und ein nicht zu unterschätzendes Fragezeichen - was man auf mancherlei Weise natürlich wiederum auch als Qualitätsmerkmal betrachten kann.

war im Metropolis 6, Frankfurt

40 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

H6, Diary of a Serial Killer
  • f3a.net: 4.3/10 40
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-03-29 00:19

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