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Review Jamie Marks Is Dead

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Du bist erst tot, wenn keiner mehr an dich denkt.
von D.S.

Jamie hat zwei Probleme: Er sieht aus wie Harry Potter – und er ist tot. Sein Klassenkamerad Adam ist zwar am Leben, hat aber ein vielleicht noch viel größeres Problem: er kann die Geister Verstorbener sehen. Und nicht nur sehen, nein, er kann auch körperlich mit ihnen interagieren – beziehungsweise sie mit ihm. Was nicht unbedingt von Vorteil ist, wenn man etwa mit einer zwar schon seit vielen Jahren toten, aber umso blutrünstigeren psychopathischen Mörderin konfrontiert wird...

Solche Gruselmomente in JAMIE MARKS IS DEAD sind durchaus intensiv und bedrohlich inszeniert, es gibt sie aber nur sehr selten. Vornehmlich handelt es sich um einen leisen, melancholischen, bedrückenden Film um Außenseiter in einer lauten Welt voller Falschheit, Oberflächlichkeit – und Bullys. Wobei der außergewöhnliche Weg beschritten wird, die Geschichte eines hilflosen Bullying-Opfers nicht von außen zu betrachten, sondern die extremstmögliche inwärts gerichtete Blickweise zu wählen: Alles, was uns Stück für Stück über das Leiden von Jamie Marks an seinen Mitmenschen vermittelt wird, über seine verletzten Gefühle, seine negierten Bedürfnisse, erfahren wir nur über ihn und seinen persönlichen Blickwinkel. Seine Wahrnehmung, seine Einordnung der Geschehnisse ist hier Gesetz: Er ist tot, also kann seine Perspektive nicht mehr von der Welt beeinflusst oder vereinnahmt werden, und er wird ihr nun schließlich Gewicht verleihen.

Der ewige Außenseiter steht ein erstes, einziges Mal im Mittelpunkt; endlich gibt es mit Adam jemanden, der ihm zuhört, an ihm Interesse zeigt. Nie hat er Zuneigung und Nähe erfahren – als sie ihm jetzt angeboten werden, bekommt er schier nicht mehr genug davon. Erweist sich als äußerst anhänglich, anstrengend, klammernd. Und überfordert Adam damit mehr und mehr. Dieser ist nämlich selbst vom Leben verunsichert, fühlt sich in seinem Zuhause und in seiner Haut nicht mehr wohl, hat sich außerdem gerade erstmals schwer verliebt. Er will Jamie helfen, eine Form von Gerechtigkeit zu erfahren, übernimmt sich mit dieser Aufgabe aber spürbar, und findet bald keinen Ausweg mehr. Wie soll man einem emotional so nachhaltig aufgeriebenen Menschen vermitteln, dass er einem bei aller Sympathie, allem Verständnis, allem Mitleid doch zu viel wird – ohne ihm noch weiter weh zu tun?

Das Geister-Sujet von JAMIE MARKS ist mithin vorrangig ein Werkzeug, um ganz andere Themen zu transportieren. Die Bedeutung von Freundschaft, Verantwortung, Eigenständigkeit. Auf eine Weise, die vielleicht etwas mehr Offenheit für die schweren Botschaften des Films erzeugen kann, gerade auch bei jüngeren Zuschauern. Dabei funktioniert die Inszenierung meiner Meinung nach aber nicht nur in dieser Hinsicht gut: Auch atmosphärisch beeindruckt der Film, wobei er mich in seiner Unterkühltheit und gelegentlich nahezu morbiden Blässe tatsächlich mehrmals an TWIN PEAKS erinnert hat; und er kann durch seinen ungewöhnlichen, unvorhersehbaren Handlungsaufbau über die meiste Zeit auch fesseln. Wenn man sich auf sein „Tempo“ und die ungewohnte Darstellung der Geisterfiguren einlässt.

Sehr gute Schauspielerleistungen tun ein Übriges: Wer inmitten des Festivalrummels offen für ein zunächst sehr eigentümlich wirkendes, langsames, nachdenkliches bis deprimierendes, aber äußerst nachhaltig bewegendes Coming-of-Age-Drama sein kann, wird hier mit einem Filmerlebnis der besonderen Art belohnt. 7 Punkte und ein DONNIE DARKO-Gedächtnisstern von mir.

war im Cinestar, Frankfurt

42 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Jamie Marks Is Dead
  • Score [BETA]: 54
  • f3a.net: 3.6/10 42
  • IMDb: 7.0/10
  • Rotten Tomatoes: 57%
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-03-29 09:06

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