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Review Live!

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Wenn der Zeigefinger zu groß wird
von D.S.

Bis zur letzten Sekunde hatte ich zwischen "Live!" und der Alternative "Counter Investigation" geschwankt. Ich glaube, ich habe mich falsch entschieden: während die Eva Mendes-Personality Show zwar sicher kein schlechter Film war, war sie aber auch alles andere als sonderlich erwähnenswert.

Klar, bei der Ausgangsidee kann man gar nicht anders, als an "Series 7" zu denken. Der Vergleich haut aber nicht hin, denn "Live!" nimmt sich die andere Seite der Medaille vor: der Film beschäftigt sich so gut wie überhaupt nicht mit den Teilnehmern der tödlichen TV-Show, vielmehr geht es hier um die Hintergründe und die Verantwortlichen für eine Sendung, die mit dem Leben echter Menschen spielt. Aus diesem andersartigen Ansatz erklärt sich auch die deutlich unterschiedliche Erzählweise von "Live!"; es ist von vorneherein klar, daß es hier nicht zu so viel Action und Adrenalin-Ausstoß kommen kann. Das kann man dem Film also nicht vorwerfen - anderes schon.

Wir befinden uns in den USA der Gegenwart. Eins der großen Fernseh-Networks leidet an deutlich schwindenden Zuschauerzahlen und es sieht so aus, als müsste die Programmdirektorin die Verantwortung dafür und gleichzeitig ihren Hut nehmen. Dann aber kommt sie mit einer zunächst bizarr wirkenden Idee daher: eine Game-Show-Variante vom "Russischen Roulette"! Mit der realen Chance auf tote Teilnehmer! Live vor der Kamera! Wäre das nicht der einzigartige, publikums-massenträchtige, Werbezeiten-wie-blöd-verkaufende Hit, auf den Amerika nur gewartet hat?!

Unsere Leading Lady hat dann erstmal mit einem ganzen Haufen Schwierigkeiten zu kämpfen. Nicht nur, daß sie den Vorstand ihrer Senderabteilung für die krank scheinende Idee gewinnen muß, sie hat auch mit der Rechtsabteilung, der Fernsehkommission und schließlich mit der Chefetage des Networks selbst zu kämpfen. Kein Wunder, schließlich würde diese Show Fernseh-Geschichte schreiben. Und alles darunter wäre wohl auch eine Stufe zu klein für Mrs. Mendes...

... die für mich der Hauptgrund war, diesen Film teilweise kaum ertragen zu können. Diese Frau ist einfach extrem anstrengend. Aber gut, das ist wohl eine eher subjektive Einschätzung. Was NICHT subjektiv ist: die Überflüssigkeit des Pseudo-Doku-Ansatzes von "Live!". In der nicht nennenswerten Rahmenhandlung werden das Berufsleben von Madame und natürlich vor allem ihre Arbeit an der Show aller Shows nämlich von einem Filmteam begleitet, dessen Regisseur mit dieser Doku den Sprung zum Hollywood-Stardom schaffen will. Seine Figur wird kaum mal näher beleuchtet, der Grund für seinen Doku-Auftrag bleibt unklar. Und vor allem: was unseren tatsächlichen Spielfilm angeht, addiert die angebliche Doku- (und manchmal "versteckte") Kamera absolut nichts hinzu. Man hätte die Story auch komplett als "normalen" Spielfilm inszenieren können, es wäre nichts verloren gegangen. Außer vielleicht ein paar überflüssiger, Zeit schindender Szenen, die uns die Annäherung von Kamera-Subjekt und -Objekt zeigen. Und wenn dieser Handlungsstrang als Metaebene gedacht war... na ja, dann fehlen da eindeutig die über die Film-Story wirklich hinausgehenden Erkenntnisse.

Irgendwo ist "Live!" schon mächtig interessant. Man fragt sich fast automatisch, ob eine solche Show wirklich realisiert werden könnte. Und das Schlimmste: man ist sich fast sicher, daß ja. Es gibt die im Film gezeigten Interessengruppen, sie haben genau die hier dargestellten Beweggründe, sie sind fast sicher skrupellos und zielgesteuert genug unterwegs, um jede Form von Moral knallhart auszublenden - wenn das nur genügend Gewinne verspricht. Dennoch krankt "Live!" vor allem an der Glaubwürdigkeit, und das ist in der Essenz Schuld des Drehbuchs: wir reden hier immerhin von Mord bzw. Auftrags-Selbstmord vor laufender Kamera.

Und auch, wenn wir heutzutage allzu genau wissen, daß sich Menschen für Geld oder Publicity für ALLES hergeben würden - dieser finale Schritt wird von allen Beteiligten viel zu leicht geschluckt. Klar, der Film zeigt auch Bedenkenträger und moralisch Zweifelnde, aber das ist nicht der Punkt: wie zynisch man auch sein mag, ich glaube, man macht es sich zu einfach, wenn man Menschen in bestimmten Positionen als fundamental unmenschlich darstellt. Genau das tut der Film. Der reale Clou unserer institutionalisierten Verachtung für das Leben anderer ist aber, daß sich niemand auch nur eine Sekunde lang verantwortlich fühlen muß. Wir sind alle so eingebunden in ein Netz aus Co-Dependenzen, daß keine Person jemals wirklich Schuld hat an einer Entscheidung, die Andere ihre Zukunft kostet. Jeder macht nur das, was er aufgrund seiner Job-Description und sonstiger Zwänge tun muß - aber wenn es jemals um die Abrechnung ginge, müsste keiner sagen, es wäre seine Idee, sein Antrieb gewesen. Dafür sind die Verantwortlichkeiten viel zu fein verteilt - niemand muß eine unmoralische Entscheidung alleine tragen, ja, niemandem kann man auch nur den Antrieb für eine solche Entscheidung zuschreiben.

In "Live!" ist das anders. Zwar sehen wir auch hier, wie Menschen beeinflußt und überredet und schließlich fast unmerklich bzw. sogar ungewollt Teil des "Systems" werden. Dennoch gibt es hier eindeutige Verantwortliche - Menschen, die schuld sind am Durchbrechen selbst minimalster Moralvorstellungen, am Auflösen auch der letzten Tabus, die zielgerichtet Menschenleben für Publikumserfolg opfern wollen und alle Anderen dazu antreiben. Menschen wie die Figur von Eva Mendes.

Damit macht es sich der Film viel zu leicht. Damit zeigt er uns einen Teufel in Menschengestalt, auf den der brave, seelisch oder politisch noch nicht ganz tote Zuschauer sehr bequem alle Schuld abwälzen und sich sagen kann, daß er selbst ja nicht so verkommen ist. Diese Fernseh-Leute, für einen Quotenerfolg würden die doch alles machen; und die blöden Amis würden das auch alles kaufen. Daß es einen Markt aber nur geben kann, wenn Käufer ein Produkt auch verlangen... das wird hier, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert. Daß es die Zuschauer sind, jeder normale einfache Bürger in den USA und hier und überall, der Unmenschlichkeit überhaupt erst zu einem quotenrelevanten Thema macht, das wird von "Live!" fast komplett ausgeblendet.

Egal, was die Industrie oder der Absender oder das Thema ist: setz den Menschen etwas vor, das sie nicht wollen, und sie werden es nicht kaufen. Gleichgültig, wie toll du es verpackst oder bewirbst. Wenn die in "Live!" vorgestellte Fernsehshow also ein potentieller Riesenhit ist - haben dann wirklich die Macher der Sendung Schuld am Mord von Menschen? Oder nicht vielmehr die Leute, die sich so was ansehen? Oder sogar noch viel mehr - diejenigen, die an der Show teilnehmen?

Spannende Fragen, aber die werden hier eben überhaupt nicht ausreichend thematisiert. Die Schuldigen sind von Anfang an klar erkennbar und werden auch als solche charakterisiert. Das greift leider viel zu kurz und sorgt nur für ein "Schauder-Erlebnis", bei dem man sich als Zuschauer aber auch keine Sekunde lang mitverantwortlich für das nur knapp fiktiv Gezeigte fühlen muß. Daneben hat "Live!" auch noch einige Logikfehler, Inszenierungsschwächen (zu langatmig, zu redundant) und ein extrem armseliges Ende - aber für solche Details ist das Review schon jetzt zu lang.

Sagen wir’s mal so: für Leute aus der Branche auf jeden Fall sehenswert. Für kritische Fernsehzuschauer auch - falls sie nach dem Ende des Films noch weiterdenken. Für Eva Mendes-Hasser hingegen kaum ertragbar. Aber dafür, auch von ihr, insgesamt sehr gut gespielt.

Von mir eigentlich kaum objektiv zu bewerten, aber ich vergebe mal 5,5 Punkte - unterhaltsam war das Ganze schon.

war im Metropolis 6, Frankfurt

28 Bewertungen auf f3a.net

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  • Score [BETA]: 64
  • f3a.net: 6.4/10 28
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