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Review London to Brighton

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Schmerzhaft gut
von D.S.

Wow, für mich ganz überraschend einer der Höhepunkte dieses Jahr. Wenn auch einer, der für viele Leute bestimmt ein wenig fehl am Platze wirkt. Verständlich, denn bei "London to Brighton" handelt es sich, ehrlich gesagt, um ein reines Independent-Sozialdrama - rauh, dreckig, ziemlich gemein, aber der Thrilleranteil ist tatsächlich minimal.

Was diesen Film nicht weniger aufregend und fesselnd macht. Das ist er zum einen wegen seiner Erzählweise, die recht verschachtelt ist: zwar kann man sich recht schnell sehr gut vorstellen, was in jener schicksalhaften Nacht passiert ist, aber alle Details erfährt man erst am Ende, und erst hier erschließt sich das Puzzle auch in seinem gesamten Umfang. Diese Sprünge in der Chronologie der Ereignisse sind es aber nicht einmal, die den Film so sehenswert machen. Vielmehr sind es zum anderen seine niederschmetternde Story, der Realismus seiner Inszenierung und seine großartigen Darsteller.

Letztendlich passiert hier gar nicht so viel, auch das Tempo der Erzählung ist nicht überwältigend hoch. Wir erleben, wie der schmierige, brutale kleine Zuhälter Derek die gealterte Prostituierte Kelly beauftragt, ihm für seinen wichtigsten Kunden ein junges Mädchen zu besorgen. Diese findet das zwar widerlich, wird von ihm jedoch derart unter Druck gesetzt, daß sie schließlich einwilligt. Derek behauptet zwar, er fände das auch nicht toll und stimmt ihr zu, es solle sich dann aber wenigstens um eine 10- bis 12-Jährige handeln, die mit so was schon Erfahrung hat (?!), aber er setzt skrupellos alles daran, seinem Kunden diesen Wunsch zu erfüllen. Man findet dann auch ein Mädchen, die - grandios gespielt - zwischen Abgeklärtheit und unschuldiger Kindlichkeit changierende 12-jährige Joanne, die für den "Job" perfekt zu sein scheint. Aber die Nacht entwickelt sich anders als erwartet... und dann finden sich Kelly und Joanne auf der Flucht nach Brighton wieder, von wo aus sie in eine sicherere Zukunft starten wollen. Aber da scheinen einige Personen etwas dagegen zu haben...

Ins Auge sticht zunächst der sehr schmutzige Look, der London von seinen häßlichsten Seiten zeigt und wenig Platz für irgendwelche positiven Gefühle übrig zu haben scheint. Tatsächlich sind hier alle Charaktere moralisch restlos verkommen - man macht alles mit, solange es ein wenig Geld einbringt. Von der Kameraführung über die Dialoge bis zum Set-"Design" hat man nur selten das Gefühl, einen Spielfilm zu sehen. Zu realistisch und unglamourös wirkt hier alles, zu nahe sind wir an "echten Menschen am Abgrund" dran. Das einzig offensichtlich Filmische ist die non-lineare Narration - und natürlich die Konstruktion der Figuren und ihrer Handlungsoptionen, die teilweise schon ein wenig aufs Extrem getrimmt scheint. Und natürlich ist Joanne eine wunderbare einfache Projektions- und Sympathiefläche: wer würde nicht mit einer süßen 12-jährigen Ausreißerin hoffen und bangen, die eigentlich nichts weiter als familiäre Zuwendung, Geborgenheit und ein Zuhause sucht, aber in die Hände eines skrupellosen Pädophilen gerät? Zudem packt "London to Brighton" ganz am Ende einen sehr platten Symbolismus aus, der vielleicht nicht unbedingt einen Kitsch-, aber doch einen Billigkeits-Eindruck hinterläßt. Auch ist das Timing des Films mindestens am Anfang nicht immer optimal; es dauert ein wenig, bis die Inszenierung einen wirklich ins Geschehen hineinzieht, zunächst verbleibt eine gewisse Distanz.

Im Großen und Ganzen aber bietet diese heftige kleine Geschichte eine erfreulich unsentimentale Auseinandersetzung mit einem Tabuthema und vor allem mit gesellschaftlichen Außenseitern, die hier auf mitreißende und bewegende Weise ums blanke Überleben kämpfen. Unbedingt sehenswert, schmerzhaft bis deprimierend und sehr, sehr geschickt erzählt. 7,5 Punkte und klares Pflichtprogramm für alle, die auch über den üblichen FFF-Tellerrand hinausschauen wollen.

glotzte im Metropolis 6, Frankfurt

43 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

London to Brighton
  • Score [BETA]: 62
  • f3a.net: 6.2/10 43
Bewertungen von IMDb werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-24 12:23

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