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Review My Big Night

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Schaumschläger
von D.S.

Das Fernsehen ist der größte Schaumschläger, den es gibt. Es inszeniert eine perfekte Welt voller bunter Unterhaltung und glücklicher Menschen; und es ist bereit, alles dafür zu opfern – allen voran Integrität und Ehrlichkeit. Diese Sicht der Dinge präsentiert uns zumindest MY BIG NIGHT, das neueste Werk von Ãlex de la Iglesia, der sich längst vom Underground-Liebling zu einem der etabliertesten Regisseure Europas gemausert hat, seine Genre-Wurzeln jedoch nie verleugnet. Ganz im Gegenteil: Der erste von zahllosen skurrilen Höhepunkten seines jüngsten Films besteht darin, dass ein Mitglied des Studiopublikums einer TV-Aufzeichnung mit einem tonnenschweren Kamerakran buchstäblich plattgemacht wird. Feingeistigkeit gibt’s glücklicherweise woanders; MY BIG NIGHT ist eine spektakuläre, wilde, laute Feier des schlechten Geschmacks, der schlechten Menschen und des schlechten Ausgangs von exzessiv ineinander verwobenen Geschehnissen bei der Produktion schöner Bilder – die der Realität ihrer Entstehungsbedingungen spotten.

Wir befinden uns am Set eines spanischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders, der bereits im Oktober die große Silvestergala 2015/16 aufzeichnet. Und das bereits seit zehn Tagen, denn irgendetwas läuft immer schief. Tolle Tanzchoreographien, alte und neue Musik-Stars mit ihren großen Hits, launige Sprüche des Moderatorenpärchens, ein begeistertes Saalpublikum – schön wär’s. Tatsächlich können die Statisten mit Sektattrappen in ihren Gläsern langsam nicht mehr dauergrinsen, kämpfen die Stars mit unsaubersten Methoden gegeneinander und für ihren Ruhm, zerfleischen sich die Moderatoren und Angestellten des Senders hinter und in den Kulissen nach allen Regeln der Kunst. Dazu kommen dann noch militante Demonstranten vor dem Studiogelände, die gegen Massenentlassungen protestieren, sowie ein paar waschechte Psychopathen mittendrin im Geschehen – und das fröhliche Chaos-Harakiri kann seinen Lauf nehmen.

MY BIG NIGHT ist ungeheuer farbenfroh und energiegeladen, allerdings auch, typisch spanisch, etwas theatralisch geraten. Dutzende Storys entfalten sich gleichzeitig nebeneinander, fast jeder ihrer Protagonisten hat einen schweren Hau weg – mein Favorit: der vom iberischen Sänger â€Raphael“ (Miguel Rafael Martos Sánchez) verkörperte, alternde Schlagergott "Alphonso", der wie ein Udo Jürgens auf Steroiden wirkt und so skrupellos egozentrisch wie unübertrefflich charismatisch ist. Diven sind hier aber auch fast alle anderen Figuren – und das kann auf Dauer mitunter dann doch etwas anstrengend sein, denn die Handlung bietet keine Sekunde lang Raum für Subtilität. Oder überhaupt mal eine Atempause.

Ein Feuerwerk der Niederträchtigkeiten, bösen Pointen und bizarr krankhaft gezeichneten Charaktere: MY BIG NIGHT ist die grelle, aggressive, monströs aufgepumpte und mit dickem Almodóvar-Touch versehene Version einer Ensemble-Inszenierung von Woody Allen aus den 90ern; vollgepackt mit schrägen kleinen, miesen feinen Geschichten, die allesamt in einem glorreichen Drunter-und-Drüber münden. Sehr laute, überdrehte Unterhaltung, manchmal leicht anstrengend und ultimativ aussagelos, dafür mit viel Raffinesse und Detailverliebtheit umgesetzt: gute 7 Punkte, der perfekte Film für jede Silvesterparty – wenn auch selbst eigentlich nur ein Schaumschläger.

staunte im Cinestar, Frankfurt

42 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

My Big Night
  • Score [BETA]: 74
  • f3a.net: 7.3/10 42
  • IMDb: 5.9/10
  • Rotten Tomatoes: 88%
  • Metacritic: 74/100
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-24 01:10

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