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Review Piercing

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Delirierend
von D.S.

In Deutschland ist Ryu Murakami spätestens mit seinem hierzulande 2006 veröffentlichten Tokyo-Hardboiled-Thriller IN DER MISOSUPPE bekannt geworden; ein extrem nihilistisch wirkendes, mit verstörenden Szenen voller Sex, Gewalt und sexueller Gewalt gefülltes Krimi-Werk, das eine ganz eigene, atemlose, intensive Sprache spricht. FFF-Gängern sogar noch präsenter ist vermutlich sein ebenfalls 1997 geschriebener AUDITION, der Takashi Miike als Vorlage für seinen gleichnamigen Film diente.

Murakami steht für alles andere als leichte, konventionelle Kost, und insofern ist es passend, dass sich nun mit Nicolas Pesce wieder ein Regisseur an die Verfilmung eines seiner Bücher gewagt hat, der selbst bereits durch eine ziemlich schmerzhafte Arbeit aufgefallen ist. Verglichen mit seinem THE EYES OF MY MOTHER fühlt sich PIERCING nun allerdings geradezu harmlos an – blutig, bizarr und unangenehm in Details, im Gesamten aber eher nett schräg als grund-depressiv.

Gemeinsam mit der Hauptfigur Reed (Christopher Abbott, IT COMES AT NIGHT) – einem nicht genauer definierten Yuppie, der an einem nur unwesentlich genauer definierten Kindheits-Trauma leidet – delirieren wir hier durch ein zwischen Fetisch, Folter und völligem Fuck-up wechselndes Geschehen. Elegant ließe sich dieses vielleicht mit „schmerzaffiner Psychopath trifft schmerzaffine Psychopathin“ zusammenfassen, konkreter mit „Mordversuch trifft auf SM-Prägung, und beide laufen aus dem Ruder“.

Elegant gibt sich PIERCING allerdings nur in seiner Inszenierung – hier werden auf stilvolle Weise Ton- und Bildzitate klassischer Giallos zu einer formvollendeten 70s-Hommage zusammengeführt; alleine schon die Goblin-Songs im Vor- und Abspann lohnen den Kinobesuch. Und ähnlich wie in ELIZABETH HARVEST feiert der Splitscreen fröhliche Urstände. Die Handlung dagegen konzentriert sich eher aufs Drastische, hier wird häufig hemmungslos gehackt und geblutet und vor allem halluziniert, was auch mal in bunt-apokalyptischen Endzeitszenarien mündet.

Wer Wert auf Erklärungen oder auch nur auf kohärente Storys legt, wird von PIERCING vermutlich eher unbefriedigt zurückgelassen. Hier werden wesentliche Handlungsmotivatoren nicht erörtert und sperrangelweit offene Fragen nicht beantwortet; hier geschieht neben obskurem Selbst- und Fremdverstümmeln zu wenig von Belang; hier ist viel zu abrupt und ohne Auflösung plötzlich einfach Schluss. Um den Film zu mögen, braucht man neben einer grundlegenden Lust am Bizarren vermutlich eine hohe Toleranz für sinnfreien Style und eine Vorliebe für albtraumhaft eskalierende Gewalt-Szenarien sowie seltsame, gefährliche Frauen.

Schmeckt wie ein giftiges Bonbon, befriedigt nur manche sinnlichen Bedürfnisse, diese allerdings so überbordend, dass ich stellenweise gar nicht anders konnte als selig zu lächeln: 6,5 hingerissene Punkte von mir.

saß im Harmonie, Frankfurt

40 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Piercing
  • Score [BETA]: 67
  • f3a.net: 5.6/10 40
  • IMDb: 6.4/10
  • Rotten Tomatoes: 83%
  • Metacritic: 64/100
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-23 19:16

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