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Review Polytechnique

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Der "richtige“ Film
von D.S.

Das war mal eine schöne Begrüßung durch Dirk von Rosebud: "Herzlich willkommen beim RICHTIGEN Film! Unten läuft LESBIAN VAMPIRE KILLERS, der ist ausverkauft, die Leute stapeln sich da" (...für diesen Müll, zwischen den Zeilen gelesen) - "Aber ihr hier seid meine Hoffnung! Ihr habt euch für Qualität entschieden!"

Gut, es ist vermutlich nicht sehr schwer, einen intelligenteren Film als LVK zu finden. Andererseits habe ich POLYTECHNIQUE auch nicht besucht, weil ich nun unbedingt einen Cannes-geadelten Kunstfilm sehen wollte - was mir zum Glück auch erspart blieb. Der Kunstfilm, jedenfalls. Vielmehr erwartete mich ein straighteres, deutlich intensiveres, in schwarz-weiß-gedrehtes Derivat von ELEPHANT - die Anklänge an den Columbine-Film von Gus van Sant waren streckenweise überdeutlich. Aber POLYTECHNIQUE verläuft sich weniger, beschäftigt sich mehr mit dem Schul-Amoklauf selbst und macht das Geschehen fassbarer. Wenn auch noch lange nicht nachvollziehbar, obwohl die Beweggründe des Täters recht ausführlich dargestellt werden: er verspürte einen irrationalen Hass auf Frauen, den er durch eine Abneigung gegen den Feminismus zu begründen versuchte. Wobei er bei der Wahl seiner Opfer keine Sekunde lang prüfte, ob es sich nun um eine "Feministin" oder nicht handelte.

Das erste Drittel des Films beschäftigt sich fast ausschließlich mit der Perspektive des Täters. Sein letzter Abend vor dem Amoklauf, seine Abschiedsbriefe, sein Weg zum ersten Schuss. Dennoch gelingt es nicht, den Weg in sein Inneres zu öffnen: sein Charakter, seine Beweggründe bleiben uns ultimativ fremd. Dann wechselt der Fokus von POLYTECHNIQUE ein Stück weit: er fokussiert nun auf die Geschichte eines Zeugen und einer Überlebenden des Massakers, zeigt uns das Geschehen aus ihrer Perspektive und begleitet diese Figuren noch über den Tag des Amoklaufs hinaus. Wir erfahren, wie sie mit dem Erlebten umgehen - und welche Konsequenzen es für ihr weiteres Leben hat.

Hier hat der Film zwar einige seiner intensivsten Momente, hier treten aber auch eine deutliche Schwäche zutage - ein erstaunlicher Mangel an Subtilität: die Moral von der Geschicht’ wird uns gerade am Beispiel der Überlebenden und ihrer Erkenntnisse auf arg holzhammerhafte Weise nahe gebracht. Weniger nett formuliert, könnte man auch von derbem Kitsch reden. Und da es sich bei diesem Storyteil offenbar um eine rein fiktive Komponente handelt, darf man das auch.

Dieses arg plakative Herangehen an eine Deutung des realen Geschehens schmälert für mich die Wirkung von POLYTECHNIQUE enorm. Vielleicht war es in erster Linie auch nur die Wortwahl des Abschlussmonologs, aber ich fühlte mich plötzlich in eine Episode von "Positives Denken für Anfänger" hineinversetzt. Das ist dem echten Drama einfach nicht angemessen und trivialisiert das zuvor Gesehene fast schon auf Soap-Opera-Niveau.

Davon abgesehen aber ist POLYTECHNIQUE fesselnd, kraftvoll und authentisch umgesetzt - selten fühlte man sich in artverwandten Filmen näher am Zentrum der Handlung. Man ist platziert inmitten der Opfer, man kann ihr Unverständnis, ihr Erkennen, ihre Panik förmlich mitfühlen. Und so geht einem das Ganze dann doch erstaunlich nahe - und hinterlässt einen fast sprachlos. Wäre da nicht das platte Ende, bliebe dieses Gefühl wohl zweifellos auch noch länger erhalten. So schafft es der Film nur auf 7 Punkte. Sollte man trotzdem gesehen haben.

war im Metropolis 1, Frankfurt

43 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Polytechnique
  • Score [BETA]: 78
  • f3a.net: 7.6/10 43
  • IMDb: 8.0/10
Bewertungen von IMDb werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-20 15:55

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