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Review Possessor

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Every Picture tells a Story
von D.S.

Brandon Cronenbergs zweiter Langfilm ist an der Oberfläche ein gewaltiges Style-Spektakel. Rigide Bildarchitektur, ausdrucksstarke Farbgebung, tief in den Erlebnisraum der Protagonisten vordringende Tongestaltung und Kameraführung erzeugen einen mitunter hypnotisierenden Sog, in den der Zuschauer nur allzu leicht geraten und dabei den sicheren Boden der „Realität“ der Erzählung unter den Füßen verlieren kann.

Das wirkt doppelt raffiniert - denn in ebendieser Erzählung geht es um das sinistre Tun von Geheimagenten, die vorübergehend das Bewusstsein unschuldiger Opfer übernehmen, um sie für die Ermordung ausgewählter Zielpersonen zu benutzen: als perfekte menschliche Drohnen, wenn man so will. Tasya Vos (Andrea Riseborough, MANDY) ist die vielleicht routinierteste Agentin im Kader der finsteren Organisation im Hintergrund, über deren Ursprünge und Ziele man wenig erfährt. Aber die jahrelange psychisch invasive Arbeit zollt langsam ihren Tribut - Tasyas eigene geistige Gesundheit wirkt immer stärker belastet, die Grenze zwischen Täter- und Opferbewusstsein scheint Risse zu bekommen, ihre „Realität“ gerät ins Wanken. Was die Inszenierung auf ihrer audiovisuellen Ebene, wie erwähnt, eindrücklich erfahrbar werden lässt. Die bemerkenswerte stilistische Schau von POSSESSOR hat also einen sehr konkreten narrativen Sinn; eine bloße Verliebtheit in filmische Mätzchen kann man Brandon Cronenberg sicher nicht vorwerfen - im Gegenteil schon eher eine mitunter vielleicht etwas zu plumpe Symbolik. (Das gilt übrigens erst recht, wenn man die Deutung des Geschehens noch ein wenig weiter treiben will, POSSESSOR nicht als bloße Metapher auf das Kontroll- bzw. Dominanzstreben kaputter Persönlichkeiten lesen will, sondern als Geschichte über das Geschichtenerzählen, als Film übers Filmemachen... aber diese Diskussion überlasse ich anderen).

Was bei der meisterlichen Inszenierung eventuell ein wenig zu kurz gerät, ist die Handlung selbst. Ohne zu spoilern, beschränkt sich deren tatsächlicher Gehalt - nach der Einleitung - im Wesentlichen auf zwei unterschiedliche Set-ups. Diese erreichen durchaus eine hohe, zwischendurch sogar schmerzhafte Intensität. Erzählerisch ist Brandon Cronenberg jedoch deutlich näher an den Brainfuck-Erlebnis-Events eines David Lynch als an den klassischen Spannungsbögen der meisten Filme seines Vaters.

Interessanterweise erinnert mich POSSESSOR insgesamt trotzdem am meisten noch an EXISTENZ - vor allem, da die transportierte Atmosphäre ähnlich ist. Aber auch im Handlungsrahmen gibt es Gemeinsamkeiten, wobei der Body-Horror-Aspekt im eigentlichen Sinne hier vernachlässigt werden kann. Brandon Cronenbergs etwas verunglückter Erstling ANTIVIRAL ist jedenfalls kein wirklicher Referenzpunkt, speziell stilistisch ist der Regisseur seitdem deutlich gereift. Zum Vergleich bietet sich eher sein letzter Kurzfilm an, der gefeierte PLEASE SPEAK CONTINUOUSLY AND DESCRIBE YOUR EXPERIENCES AS THEY COME TO YOU, in dem ebenfalls verschiedene Realitätsebenen miteinander verschwimmen und bei dem man sich als Zuschauer genauso bis zuletzt nicht sicher sein kann, aus welcher Perspektive man das Geschehen eigentlich betrachtet - eine „Wahrnehmungsunsicherheit“, ein surrealistischer Eindruck, der durch auffällige, kunstvolle Bildkomposition und Farbgebung geschickt unterstützt wird.

Wie in POSSESSOR, bei dem sich der Umgang mit audiovisuellen Zeichen analog zum Fortgang der Story, zur geistigen „Klarheit“ der Hauptfigur im Filmverlauf ändert. Man achte auf den Einsatz von Primärfarben (in uni) und Weiß; viel mehr sogar noch auf die zunächst von klaren geometrischen Formen geprägten Einstellungen, die später buchstäblich zerfließen.

Narrationsunterstützende Bildgestaltung wie aus dem Filmschul-Lehrbuch, die man aber lange nicht mehr so effektiv erlebt hat. POSSESSOR entführt in eine zutiefst verstörende Zukunftsperspektive, ist atmosphärisch dicht und äußerst beklemmend. Ein harter, kunstvoller Trip von Film, der stilistisch zum Stärksten gehört, das vom FFF seit Jahren gezeigt wurde. Gute 7,5 Punkte, klar in den Top 5 des 2020er-Programms.

goutierte im Harmonie, Frankfurt

38 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Possessor
  • Score [BETA]: 73
  • f3a.net: 6.8/10 38
  • IMDb: 6.3/10
  • Rotten Tomatoes: 93%
  • Metacritic: 69/100
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-18 23:57

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