s Speak No Evil (2022) Review - Fantasy FilmFest Mobil
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Reviews Speak No Evil

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Reviewer

Herr_Kees * 7.5

Touristenfalle

Eine dänische Familie erhält überraschend die Einladung einer Urlaubsbekanntschaft. Zwar kennt man sich nicht gut, doch waren die beiden Holländer so charismatisch, dass sie sich auf ein verlängertes Wochenende bei ihnen aufmachen.

Spätestens als der Vegetarierin Louise zur Begrüßung ein frischer Wildschweinbraten aufgetischt wird, wäre eigentlich der Zeitpunkt zum Reagieren gekommen. Aber man will ja nicht unhöflich sein …

Den „verstörendsten dänischen Film“ zu drehen, ist Christian Tafdrup trotz eigener Zielsetzung nicht gelungen, das würde ja immerhin bedeuten, das Gesamtwerk Lars von Triers zu ignorieren, doch für gewöhnliche Kinogänger ist der Film mit Sicherheit schwer auszuhalten. Insbesondere in zurückhaltenderen Kulturkreisen werden einige Szenen zu massiver Fremdscham führen.

Denn Tafdrups Psychothriller ist zunächst eine soziale Versuchsanordnung: Wie viel übergriffiges Benehmen lässt ein Mensch zu, bevor er sich abgrenzt? Dieser Part ist auch das Beste an SPEAK NO EVIL (ein generischer Titel, der im weiteren Verlauf jedoch noch an Relevanz gewinnen wird).

Als Genrefilm muss er sich allerdings einige Vorwürfe machen lassen, was insbesondere im Finale die Logik des Vorgehens angeht – hier scheinen Shock Value und Lust an der Provokation wichtiger gewesen zu sein, als ein schlüssiges Drehbuch.

war im EM, Stuttgart

Leimbacher-Mario * 8.5

Danish Dynamite

Zwei Familien lernen sich im Urlaub kennen und eine heftige, unaufhaltsame Spirale Richtung Dunkelheit, Abgrund und purem, menschlichem Horror beginnt - „Speak No Evil“ ist als diesjähriges Hauptstück des Fantasy Filmfests wirklich bitterböser Eurothrill zwischen Haneke, Mortier und dem frühen Noe. Augenzwinkern und kampflose Niederlage. Unerwarteter und durchdringender kommen brutale Filmschläge in die Magengrube kaum. Besonders für Eltern eine eindringliche Warnung. Ein Brett, das beschäftigt, einen zitternd zurücklässt und abstößt. Richtig leer zurücklässt. Ein Ritt, den man ungern öfters erleben will, den man dennoch Freunden abseitiger und heftiger Schockware nur wärmstens empfehlen kann. Und dabei wirkt er lange Zeit recht clever, sneaky und cheeky, eher wie ein bellender statt ein beißender Hund. Bis er dann beides tut. Und zwar ohne Abbruchcode. Warum tun wir uns das an? Was gibt uns das? Warum mögen wir dieses ungute Gefühl in der Brustgegend? Das muss jeder mit sich selbst ausmachen …

„Speak No Evil“ hat das Zeug nachhaltig zu verstören. Definitiv. Sowohl Mainstreamgucker als auch abgewetzte, harte Hunde wie viele von uns. Da bin ich mir sicher. Ob das Ende jetzt clever ist oder manche Verhaltensweisen nicht sogar komplett kaum nachvollziehbar, unlogisch, fragwürdig, „pussyhaft“ bis dumm - ja, würde ich bei vielen Punkten sagen. Dennoch wird über die letzte Viertelstunde zu reden sein. Und über verdammt viel davor auch. Das wird alles hängen bleiben, da bin ich noch immer deutlich mit den Gedanken. Das hat meine Hände zum Schwitzen gebracht. Meine Augen aufgerissen. Meine Kinnlade runtergeklappt. Meine Seele ein gutes Stück durchgeschüttelt. Und das hat man bei weitem nicht mehr bei vielen Filmen heutzutage oder jedes Jahr. Da hat der Regisseur sein Ziel zu schocken erreicht. Sowohl psychologisch mit Nachhall in Sachen Opfer, Hilflosigkeit und Schwäche der „zivilisierten, anständigen Gesellschaft“ als auch der rohen Kraft, Leere und Bestialität des Gegenparts. Und noch schlimmer, effektiver, langanhaltender: trotz allem Lachen und all der cleveren Konflikte, Kommunikationsproblemen, Satire zuvor merkt man die komplette Laufzeit über, dass die Kreissäge auf Hochtouren läuft. Und das Band in Richtung dieser läuft. Es keinen Aus-Knopf gibt. Und wir uns zusammen mit den dänischen Protagonisten darauf befinden. Nackt, schwach und angekettet. Dabei noch Gefahr für und Gewalt gegen Kinder. Eine teuflische holländische Familie zwischen Hölle, Flodders und Egocoaches. Fertig ist ein wirklich, wirklich (positiv) übler Cocktail der Dunkelheit, der Schmerzen, der Boshaftigkeit. „Speak No Evil“ hat seine warnenden „Vorschusslorbeeren“ verdient, ist wesentlich böser als sein generischer Titel und kommt ohne Umwege in die „Effed Up Movies“-Ecke.

Fazit: Einer der unangenehmsten und fiesesten Thriller der letzten Jahre. Und dabei lange Zeit köstlich satirisch, bissig und witzig. Bis einem das Lachen brutal im Hals stecken bleibt. Oder besser gesagt direkt ***SPOILER***samt Zunge rausgerissen wird. „Speak No Evil“ ist ein Magenschlag, eine bittere Empfehlung und keinen Deut weniger schlimm als solche Schocker wie „Kidnapped“, „Eden Lake“, „Playground“, „Killing Ground“, „Funny Games“ oder „Irreversibel“. Ja, dieses Level. Ich habe euch gewarnt …

guckte im Residenz, Köln

D.S. * 7.5

Because you let me

„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ – ein Spruch, den vermutlich jede:r kennt, genau wie die zahllosen Aphorismen rund um die Schuld der Gleichgültigen und Wegschauenden, die mehr zum Untergang der Menschlichkeit beitragen als die bewusst Bösen, die unmittelbaren Täter. Der dänische FFF-Beitrag SPEAK NO EVIL setzt derartige Mahnungen filmisch um und holt sie mittels einer konsequent schmerzhaften Erzählung, die direkt aus der gefühlten Lebenswirklichkeit stammt, auf eine Ebene, die noch das ignoranteste Publikum als auch für sich persönlich relevant realisieren können sollte.

Wer stellt sich im realen Alltag schon denen in den Weg, die sich – falls nötig, mit physischer und/oder psychischer Gewalt – das nehmen, was sie wollen, ganz gleich, wen sie damit wie schwer verletzen? Die allermeisten Menschen mischen sich lieber nicht ein, gehen dem Konflikt lieber aus dem Weg, werden lieber nicht zu laut, sagen lieber nichts Falsches. Was sind schließlich schon Überzeugungen, was ist schon Moral gegenüber einem blauen Auge oder einer blutenden Wunde am eigenen Körper?

Der dänische Regisseur Christian Tafdrup verdeutlicht in SPEAK NO EVIL auf drastische Weise, was geschehen kann, wenn man die Aggressoren, die Menschenfeinde, die empathielos Selbstsüchtigen einfach gewähren lässt. Damit ist er natürlich nicht der Erste, und sein Film ist auch nicht der Heimtückischste zum Thema – ein Haneke zum Beispiel hat das Sujet nicht zuletzt in FUNNY GAMES bereits auf eine noch deutlich zynischere, extremere Spitze getrieben. Jedoch fühlt sich jener wesentlich artifizieller an. Tafdrups Film hat zwar das Problem, dass die Ausgangssituation, der Antrieb der „Bösewichte“ im Nachhinein ziemlich konstruiert erscheint und nur bedingt Sinn ergibt. Allerdings wirken seine Protagonisten deutlich realistischer, natürlicher, echter, weshalb auch die Geschichte als Ganze unmittelbar viel mehr wie eine erscheint, die sich tatsächlich ereignen könnte.

Die Stärke seines Films liegt außerdem darin begründet, dass die Eskalation des Geschehens unglaublich langsam vor sich geht. Wie in der Parabel vom Frosch im Wasser, das ganz behutsam zum Kochen gebracht wird, testen die Täter hier ganz vorsichtig, Schritt für Schritt aus, wie weit sie gehen können, bis sich ihre Opfer wehren. Oberflächlich betrachtet bedeutet das natürlich auch, dass über eine lange Zeit hinweg nur wenig offensichtlich „Schlimmes“ geschieht. Das Dranbleiben lohnt sich aber fürs Publikum, denn wenn es dann schließlich zu spät ist, ist es zu spät … und dann gibt es nichts mehr, das hier noch unmöglich scheint, keine Tabus mehr, keine Grenzen für die Unmenschlichkeit.

Wie schwer das Filmfinale schließlich den/die Betrachter:in trifft, hängt sicherlich vom individuellen Maß der vorherigen Beschäftigung mit entsprechenden Themen bzw. Filmen ab. Leichte Kost ist es jedenfalls definitiv nicht, die wir hier geboten bekommen. Aber leichte Kost ist es ja auch nicht, sich für das zu engagieren oder das zu schützen, das man als richtig erkennt. Nötig ist es dennoch. Denn wenn man es nicht tut, wird das Böse gewinnen. Weil man es lässt.

Zwar nicht großartig originell und – gerade im Finale – mit einigen Logikschwächen versehen, aber unbeirrbar konsequent; sehr gut gespielt und in mancher Hinsicht wirklich schockierend: SPEAK NO EVIL ist ein Brett von filmischer Parabel auf die Folgen des Duckmäusertums. (Und eine effektive Warnung vor Reisen nach Holland.) 7,5 Punkte.

glotzte im Harmonie, Frankfurt

34 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Speak No Evil
  • Score [BETA]: 75
  • f3a.net: 7.6/10 34
  • IMDb: 6.9/10
  • Rotten Tomatoes: 80%
  • Metacritic: 76/100
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-17 01:51

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