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Review Under the Skin

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Die Oberfläche und das darunter
von D.S.

Nicht zuletzt der Vollständigkeit halber tue ich es jetzt doch, aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich dürfte noch gar kein Review zum neben THE STRANGE COLOR OF YOUR BODY’S TEARS zweiten großen Publikumsspalter beim diesjährigen FFF schreiben – denn ich habe ihn bisher nur einmal gesehen, und für mich reicht das in diesem Fall nicht wirklich, um ihn sich vollständig zu erschließen.

Wer bei UNDER THE SKIN nur oberflächlich hinschaut, wird sich über diese Aussage vielleicht etwas wundern. Schließlich passiert in diesem Film doch fast nichts. Minutenlange Einstellungen trister schottischer Landschaft, Scarlett Johansson fährt in Echtzeit ein paar Stationen mit dem Bus, stumme Blicke, leerer Smalltalk, tosendes Meer. Aber das ist es ja eben. Wer aus UNDER THE SKIN auf gar keinen Fall etwas herausholen möchte, der schaut besser nur oberflächlich hin. Und kommt bloß nicht auf den Gedanken, dass der Titel mehrdeutig und durchaus mit Bedacht gewählt worden ist: Es geht hier um das, was sich unter der Hülle verbirgt. Nicht um Oberflächenreize.

Wobei auf der konkreten Ebene des Films zunächst doch genau nur diese im Fokus stehen: Miss Johansson spielt ein Alien-Wesen, das in der sphärisch düsteren Einleitungssequenz einen menschlichen Körper annimmt. Den einer wunderschönen Frau mit sexy Rundungen und unschuldigem Gesicht, für vermutlich die Mehrzahl der Männer eine perfekte Kombination. Definitiv jedenfalls für die Männer Glasgows – auf die das Alien es im Folgenden abgesehen hat: In seiner verführerischen Tarngestalt fährt es mit einem Minivan in der Stadt herum und hält Ausschau nach körperlich fitten Vertretern des „starken“ Geschlechts, die alleine unterwegs sind und auf die niemand wartet, die also nicht unmittelbar vermisst werden werden. Spricht sie mit simpelsten Phrasen an, fragt nach dem Weg; flirten kann man es beim besten Willen nicht nennen, aber es reicht in den allermeisten Fällen aus, um die äußerlichkeitsfixierten Herrschaften komplett in den Bann zu ziehen. Alien-Scarlett nimmt sie mit in eine Wohnung, leitet dort durch ihr eigenes Sich-Entkleiden das ihrer Opfer ein, bis auf die Haut – und drunter.

***SPOILER***Sie werden diese Wohnung nie wieder verlassen. Falls doch einmal: gibt es "Cleaner". Mutmaßlich weitere Aliens, die vorrangig per Motorrad in den schottischen Weiten unterwegs sind und hinter Alien-Scarlett aufräumen. Wobei weder ihre Identität noch ihre genaue Tätigkeit im Film jemals genauer geklärt wird. Wie so vieles hier bleibt es zum größten Teil der Interpretation des Zuschauers überlassen, was er aus ihnen macht.

Und wenn er keine Lust auf eine eigene Interpretationsleistung, auf ein selbsttätiges Arbeiten mit dem Gezeigten hat? Dann wird er eben nichts aus ihnen machen. Nichts aus dem Verhalten unserer Protagonistin, die nach langen Episoden der emotionslosen Jagd fast unmerklich beginnt, sich und den Umgang mit ihren Opfern zu verändern. Nichts aus den Clues, die mehr oder minder deutlich im Film verborgen sind (Wasser, Spiegel, Körperlichkeit und Berührungen). Nichts aus der fortschreitenden Verschiebung von Außen nach Innen – und den Konsequenzen, die sie für die Hauptfigur mit sich bringt.

In meiner unfertigen Deutung ist UNDER THE SKIN ein Film über den tief in den meisten von uns verankerten Widerspruch in der Einordnung von Seele und Hülle: Wir wissen, dass sich Menschen ausschließlich durch ihre inneren Werte wirklich unterscheiden und auszeichnen können. Achten aber dennoch fast immer zunächst nur auf das Äußere. Und wenn wir selbst einmal zum Opfer einer solchen seltsamen Fehlgewichtung werden, kann uns das mitunter tödlich verletzen.

Eine Parabel auf den Schönheitswahn westlicher Gesellschaften? Die Schilderung des Bewusstwerdungsprozesses einer Barbie-Schönheit im Erwachsenenleben? Eine Kritik am immer noch vorherrschenden männlich-weiblichen Rollenverhalten? Eine Studie über die Entfremdung urbaner Gesellschaftsstrukturen von ihren echten Bedürfnissen und Wünschen? Ich will mir hier (noch) kein Urteil anmaßen, zumal ich den Roman "Die Weltenwanderin" von Michel Faber nicht kenne, auf dem die Filmhandlung basiert und der vielleicht eindeutigere (Interpretations-) Hinweise gibt.

Festzuhalten ist aber, dass UNDER THE SKIN – für sich betrachtet – definitiv fasziniert, verstört und erreicht, dass man sich nachhaltig mit ihm beschäftigt. Solange man dafür keine Oberflächen-Kicks benötigt. Das einzige Stilmittel, mit dem hier typische "Film-Erwartungshaltungen" bedient werden, ist der Score, der spätestens in der zweiten Hälfte subtil zu hypnotisieren beginnt. Visuelle Höhepunkte sind dagegen – mit Ausnahme einer farbgesättigten Makro-Zwischensequenz sowie dem Finale des Films – so rar wie solche in der Handlung. Was angesichts der Historie von Regisseur Jonathan Glazer natürlich durchaus überrascht, schließlich ist er der Verantwortliche z.B. hinter hoch ästhetisierten, stilistisch teils ziemlich extravaganten Videoclips wie denen zu "The Universal" von BLUR oder "Virtual Insanity" von JAMIROQUAI sowie epochal bildgewaltigen Werbespots etwa für Levi’s, VW und Guinness. Dieser Film ist das genaue Gegenteil: Eine Ernüchterung der Sinne. Eine Entkernung der Oberfläche. Ein Unter-die-Haut-Gehen für den Kopf.

Wer nach schlichter Unterhaltung oder auch nach aufregend gestalteter Filmkunst sucht, wird hier also mit Sicherheit enttäuscht werden und sollte einen großen Bogen um UNDER THE SKIN machen. Wer es hingegen schätzt, wenn er denken, reflektieren, tiefer graben muss, um sich einen – dann auch umso tiefergehenden – Wert zu erschließen, der dürfte mit diesem Werk seinen neuen Gral gefunden haben.

Schwer intellektuelle, spröde, kühl inszenierte Kost, die bei entsprechender Publikumsbereitschaft aber hintergründig extrem viel in Bewegung setzt – und an grundlegenden Festen unserer Emotions- und Selbstverortungen kratzt. 7 unqualifizierte Punkte von mir.

verweste im Cinestar, Frankfurt

67 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Under the Skin
  • Score [BETA]: 71
  • f3a.net: 5.6/10 67
  • IMDb: 6.4/10
  • Rotten Tomatoes: 86%
  • Metacritic: 78/100
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-26 15:17

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