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Review The Visit

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Deutsch-Rap muss sterben, damit wir leben können
von D.S.

Es war einmal ein talentierter Nachwuchsregisseur namens M. Night Shyamalan. Der realisierte 1999 mit THE SIXTH SENSE einen Film, dessen Ende auf nahezu ungekannte Weise die gesamte vorherige Handlung auf den Kopf stellte – was ihm weltweite Aufmerksamkeit bescherte. Dadurch wurde der Regisseur zum Vorbild für viele andere, meist weniger talentierte Filmemacher, und auch für sich selbst: Ein maximal großer, unvorhersehbarer Twist im Finale wurde (zumindest vorübergehend) gewissermaßen zu seinem Trademark – was diesen dann natürlich nicht mehr ganz so unvorhersehbar wirken ließ.

Wie dem auch sei, Shyamalan feierte nach SIXTH SENSE noch einige größere Erfolge, in jüngeren Jahren erwiesen sich seine regelmäßig religiös verbrämten Drehbuch- und Regieprojekte jedoch immer öfter als künstlerische (DEVIL) und auch kommerzielle (AFTER EARTH) Flops.

2015 nun scheint seine Karriere in derart schweres Fahrwasser geraten zu sein, dass er sich für die Veröffentlichung seines neuesten Films mit einem ausgewiesenen Billigspezialisten zusammentun musste: Er ließ seinen bereits fertig gedrehten und geschnittenen THE VISIT im Nachgang von Jason Blum (PARANORMAL ACTIVITY usw.) „produzieren“, um so einen Vertriebsdeal mit Universal ergattern zu können. Da passt es natürlich ideal, dass es sich bei dem Streifen um eine Pseudo-Dokumentation handelt, um ein mit Handheld-Cameras aus der Subjektiven gefilmtes, auf einen Score verzichtendes, auf Authentizität getrimmtes Video-Tagebuch.

Man nennt das Genre auch „Found Footage“, und Blumhouse Productions hat es mit einer ganzen Reihe von Franchises zur Gelddruckmaschine perfektioniert – oder totgeritten, wie eine immer größere Zahl von Kritikern befindet. Ich persönlich hege ja grundsätzlich durchaus Sympathien für Filme dieser Machart, da sie den Zuschauer unvergleichlich nahe ans Geschehen heranführen und so für extreme Intensität sorgen können – während sie gleichzeitig unseren Blick auf die Handlungsrealität auf den des filmenden Protagonisten beschränken, damit also gewaltiges Potential für fundamentale Überraschungen haben. Shyamalan aber scheint diesen Filmstil für THE VISIT vor allem aus einem anderen, wesentlich profaneren Grund gewählt zu haben: Found-Footage-Streifen sind konkurrenzlos günstig zu produzieren.

Von einer Sequenz abgesehen nämlich, in der die Unmittelbarkeit der verwackelten Subjektiven tatsächlich adrenalinerhöhend genutzt wird, offenbaren weder Handlung noch Inszenierung auch nur den geringsten Grund für diese Erzählweise. Im Gegenteil, der Film quält sich sichtlich, um irgendwie mit einer – dann auch ungewöhnlich unglaubwürdig wirkenden – Begründung dafür aufwarten zu können: Eine der Hauptfiguren, die Teenagerin Becca (Olivia DeJonge), wird uns als Filmemacherin in spe vorgestellt, die den erstmaligen Besuch bei den Großeltern nutzen will, um ein Dokudrama über die Kindheit und Familiengeschichte ihrer Mutter zu drehen. Deshalb hat sie nicht nur zwei Kameras dabei (von denen sie eine bald an ihren Bruder abgibt, damit er für eine zusätzliche filmische Perspektive sorgen kann), sondern wirft auch in einem fort sensationell unpassend und anti-authentisch mit entsprechenden Buzzwords und Fachausdrücken um sich – und beweist auch ansonsten weder Sensibilität für ihre „Subjekte“ noch Verständnis für ihr Sujet. Das mag sich jetzt alles gar nicht mal so überaus unglaubwürdig anhören, aber glaubt mir: Beccas ständiges Alles-Filmen fühlt sich trotz ihres Backstory-Set-ups nicht einen Deut realistischer an das in anderen Found-Footage-Filmen. Die regelmäßigen Versuche von THE VISIT, es durch ihre Regie-Aspirationen zu begründen, heben die verkrampfte Bemühtheit dieser Begründung letztlich nur noch mal besonders hervor.

Verglichen mit der zweiten Hauptfigur, dem jüngerem Bruder Tyler (Ed Oxenbould), wirkt Becca aber fast schon natürlich. Und vor allem sympathisch. Bei ihm handelt es sich nämlich um einen unerträglich anstrengenden Möchtegern-Rapper mit dem Alias „T-Diamond“, der bei jeder unpassenden Gelegenheit erst mal schlechtes Rhymes über Bitches und Hoes in die Luft haspelt. Okay, kleine Kinder SIND nervig, aber hier regiert eindeutig nur noch Fremdscham. Gegen Tyler ist Dennis (The Menace) ein echt netter Typ von nebenan, den man sich tatsächlich genau so in der echten Welt vorstellen könnte.

Aber, um fair zu bleiben: Ich habe THE VISIT nicht beim FFF gesehen, sondern bei einer Pressevorführung. In der deutschen Fassung. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich das Kinder-Gerappe im Original wesentlich weniger gezwungen, peinlich und hölzern anhört. In Deutsch jedoch hat es alleine bereits gereicht, um den Streifen fast komplett unerträglich zu machen. Sich dauernd gegen die Stirn schlagen müssen und Filmgenuss schließen sich nun mal ziemlich aus.

Derartige Peinlichkeiten sind jedoch nicht das einzige Problem von THE VISIT. Ein anderes ist das Pacing: Nach seinem betulichen Einstieg – bleibt der Film erst mal betulich. Nach einiger Zeit werden wir dann aus der Sicht der Kids zwar Zeuge, wie sich die Großeltern höchst merkwürdig verhalten. Allerdings sind und bleiben dies zunächst nur kurze Highlights. Die Merkwürdigkeiten werden von Becca und Tyler kaum weiter hinterfragt, die Handlung verfällt fast direkt wieder in ihren gemächlichen Trott. Und es dauert bis zum letzten Filmdrittel, bis sich an Tempo – und gefühlter Bedrohungssituation – endlich etwas ändert. Falls es das Ziel war, über sich steigernde Absonderlichkeiten langsam und nachhaltig eine sich ebenso steigernde Gruselatmosphäre zu erzeugen: das ist leider gescheitert. Nicht zuletzt dank des pseudo-realistischen Erzählstils, der uns bis zum Showdown immer wieder mit Nebensächlichkeiten wie Geschwister-Streitereien oder Skype-Chats mit der Mutter aus jeder potentiellen Anspannung herausreißt.

Was schade ist, denn die Storyidee als solche ist gar nicht mal so schlecht. Und wenn auch die Figurenzeichnung grundsätzlich etwas plump wirkt: Zumindest die relativ namhaften Darsteller der Großeltern (Deanna Dunagan, AUGUST: OSAGE COUNTY und Peter McRobbie, INHERENT VICE) machen einen wirklich guten Job und erwecken ihre Figuren zu einem mitunter durchaus verstörenden Leben. Einige ihrer Szenen sorgen für wohliges Schaudern, einige sind tatsächlich tiefgehend unangenehm. Im Finale verfügt THE VISIT dann glatt über einen Moment, der zu den ekligsten, beeindruckend fiesesten der jüngeren Filmgeschichte gehören dürfte – und das ganz ohne Gore und Gesplattere.

Ob man die Auflösung der Story dann als gelungen empfindet, ist sicherlich Geschmacks- und Erfahrungsfrage. Konsequenz und Überraschungspotential ist ihr aber nicht abzusprechen. Aufs Ganze gesehen ist THE VISIT deshalb auch sicher kein kompletter Reinfall. Er wirkt jedoch viel zu bemüht, ungelenk, über weite Strecken belanglos und – zumindest in der deutschen Fassung – schlicht peinlich, um positiv in Erinnerung zu bleiben. Da wäre definitiv mehr drin gewesen. Insbesondere mehr Atmosphäre. Bei mehr Gewicht auf der Story – statt auf verkrampften Erzählspielereien. Sowie schlechten Raps. So jedoch bleiben maximal 4,5 Punkte zu vermelden. Kein überzeugendes Comeback, Mr. Shyamalan.

22 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

The Visit
  • Score [BETA]: 65
  • f3a.net: 6.5/10 22
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-19 13:04

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