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Review We Are the Flesh

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Grenzüberschreitend
von D.S.

Das diesjährige Hassobjekt für einen Großteil des FFF-Publikums ist kein Film, der eine Story erzählen will. Es geht ihm stattdessen sehr offensichtlich um das Vermitteln ganz grundlegender Botschaften auf experimentell-künstlerische Weise. Ihn aufgrund seiner Handlung oder ihres Nicht-Vorhandenseins zu bewerten, ergibt deshalb keinen Sinn. Es wundert mich ein bisschen, dass so viele Leute genau das tun. Und sich über seine diesbezüglichen "Defizite" beschweren. Allzu oft kann ich mir derartige Produktionen auch nicht ansehen, aber muss denn jeder Festivalfilm konventionellen Formeln folgen? Gibt es das FFF denn nicht exakt dafür – über die Grenzen des Mainstreams hinauszuführen? WE ARE THE FLESH ist definitiv ein außergewöhnliches Erlebnis. Mutiges, intensives, unglaublich seltsames Kino. Und wenn nicht mal wir das zu würdigen wissen, wer soll die Welt denn dann vor FAST & THE FURIOUS 328 bewahren? ;)

Wir sind das Fleisch. Wir sind das Blut. Aber was sind wir noch? Was macht den Mensch zum Menschen; was macht ihn zu dem, was er ist? Warum zwängen wir unseren Geist in Ängste, Regeln, Tabus und versagen uns so ein freies, ungebremstes Dasein? WE ARE THE FLESH ist eine wilde Hymne auf die Körperlichkeit, eine Feier des Lebens, ein zutiefst optimistisches, energiegeladenes Werk, das in verstörenden, brachialen, wollüstigen Bildern daherkommt. Der Geist ist nicht im Fleisch. Der Geist IST das Fleisch. Ein wütend pulsierender Angriff auf die Körperfeindlichkeit, die Tabuisierung der Lebendigkeit und ihres animalischen Kerns gerade in religiös geprägten Gesellschaften – kein Zufall, dass hier sowohl die mexikanische Nationalhymne als auch "Ave Maria" dargeboten werden. Ein Affront gegen das Verklemmte, das Biedere, das sich "normal" nennende Alltägliche unserer Zivilisation, das spätestens im Finale als das eigentlich Perverse, Kranke denunziert wird.

Lebendigkeit, ungezügelte Triebhaftigkeit, geistige Neugeburt in ein freies Erleben hinein – dass es bei solchen Themen zur vielfachen und offenherzigen Darstellung von Sex und Sexualorganen kommt, ist selbstverständlich. Dass das immer noch Menschen irritiert, weniger.

An der Oberfläche ist WE ARE THE FLESH sicher schwer nachvollziehbar und schwer verdaulich. „Tod und Wiedergeburt, Metamorphose, Initiation, Opferung, Mutter-Kind-Beziehung, Soldatentum“, wie es in einem anderen Review aufgezählt wird, sind hier aber eben nur die Oberfläche. Darunter steckt das Fleisch. Und das will gefeiert werden. Was der Film intensiv begeht – und auch, wer keine Lust auf Interpretationsarbeit hat oder die hier auf uns geworfenen Themen und Thesen persönlich weder für relevant noch interessant hält, sollte wenigstens daran Gefallen finden können. Denn auch und gerade auf audiovisueller Ebene wird hier über weite Strecken eine rauschhafte, halluzinatorische Erfahrung geboten, die im positivsten Sinne an Werke Gaspar Noés erinnert, sich aber auch überdeutlich vor Meilensteinen des mexikanischen Genre-Kinos wie ALUCARDA verneigt.

In jeder Hinsicht herausragend. Düster, anstrengend, eigenartig – und ganz sicher lange in Erinnerung bleibend. Für so was gehe ich aufs Festival. 7,5 Punkte.

war im Cinestar, Frankfurt

39 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

We Are the Flesh
  • Score [BETA]: 56
  • f3a.net: 4.6/10 39
  • IMDb: 6.5/10
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-03-28 16:31

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