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Review After Life

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von Alan Smithee
Wandafuru raifu (Afterlife)

Japan 1998

Regie: Hirukazu Kore-Eda

Es ist immer wieder eine Freude, sich einen japanischen Film aus den 90er Jahren anzuschauen. Egal, welches Genre, welches Sujet, welcher Style. In den allermeisten Fällen ist der japanische Output orginell, mutig, sorgfältig produziert und äußerst kreativ.

So auch hier:
Afterlife ist ein wunderschönes, poetisches, einfühlsames, herb-realistisches Märchen. Eine Gruppe von Menschen jeglichen Alters wird in einem alten, heruntergekommenen Haus versammelt. Ein Trupp von "Angestellten" interviewt diese Menschen über ihr Leben.

Erst nach einiger Zeit versteht man: Diese Menschen sind alle frisch Verstorbene, die in einem "Vorzimmer" zum Himmel (oder was auch immer, über das DANACH wird nur vage gesprochen) eine Woche Zeit haben, die wichtigste Erinnerung ihres Lebens zu nennen. Mit der - und auch nur dieser einen - Erinnerung werden sie dann in den Himmel o.ä. entlassen. Alles andere wird gelöscht.

Die Filmhandlung bewegt sich in dieser einen Woche, bei den gerade eingetroffenen frisch Verstorbenen. Anfangs konzentriert sich der Film darauf, lediglich die Interviews abzufilmen, mit deren Hilfe die "Angestellten" diese eine wichtige Erinnerung herauszubekommen wollen um diese dann im hauseigenen Studio zu verfilmen und den "Todeskandidaten" mit dem Film ins Jenseits zu entlassen.

Zugegeben: Es ist bestimmt nicht jedermanns Sache, einen 118 Minuten-Film zu betrachten, der zu einem Großteil aus sinnierenden, in Erinnerungen schwelgenden, unsicheren, dummen, überheblichen, verschlossenen, albernen (u.v.a.m.) Menschen in Großaufnahme besteht. Kore-Eda (gleichzeitig auch Verfasser des Buches) versucht hier geradezu Archetypen darzustellen: Der jugendliche Rebell, der Pragmatiker ,der alles emotionale verdrängt hat, die alte Jungfer, die sich selber belügt und Liebhaber erfindet, das uralte Mütterchen, das mit der Natur verschmilzt etc.pp. Trotzdem: die Einfühlsamkeit des Films, die hervorragenderen Darsteller und die sich Zeit lassende Regie vermeiden jedes Klischee und machen gerade diese Archetypen zu plastischen Charakteren, die man schon fast persönlich zu kennen glaubt.

Aber der größte Reiz des Films ist wohl folgender:
Mit wem ich auch sprach, jeder hat sich beim ersten Sehen des Filmes Gedanken darüber gemacht, welches seine Erinnerung wäre, mit der er ins Jenseits gehen würde. Geradezu zwangsläufig beschäftigt man sich mit der Frage und läßt unterbewußt sein ganzes Leben vor sich ablaufen, was den Schicksalen auf der Leinwand noch das eigene hinzufügt und den Film äußerst intim werden läßt.

Von der Cinematographie her ist der Film back to the roots. Kein Effektfeuerwerk (wie es ja das Fantasy-Sujet durchaus zugelassen hätte) sondern ruhige, langsame in erdigem braun gehaltene, leicht körnige Bilder, die die Bedächtigkeit und Würde untermalen, die der Situation angemessen ist. Manchmal wähnt man sich schon in einem Dokumentarfilm. Unterstrichen wird dies dadurch, daß auch kaum Score verwendet wird, um die Handlung zu stützen. Man könnte schon fast von einem Dogma-film auf Zelluloid und ohne Wackelkamera sprechen.

Gegen Ende verläßt der Film den dokumentarischen Charakter und entwickelt plötzlich richtig narrative Formen. Es entsteht eine angedeutete Spielhandlung um Liebe und Eifersucht, Sehnsucht und Stolz. Angenehmerweise wird aber auch hier nicht dick aufgetragen, sondern eher zurückhaltend beobachtet.

Mit Afterlife haben die Japaner wieder einmal bewiesen, daß sie derzeit mit den Franzosen zusammen die weltweit führende Filmnation sind, was Qualität, Quantität und Vielfalt angeht.

Wer sich also einen Kinobesuch ohne 36 Explosionen, Sex, Klischees und Ballereien vorstellen kann, wer mal Lust verspürt sich in einen Film fallenzulassen und auch in Kauf nimmt, daß es anstrengend sein kann, ins Kino zu gehen, wird ein nachhaltiges Erlebnis vor sich haben.

Nebenbei: Ich habe meine Erinnerung mittlerweile gefunden (glaube ich zumindest)!

Mirco Hölling (07.09.2000)

guckte im Cinemaxx, Hamburg

9 Bewertungen auf f3a.net

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After Life
  • f3a.net: 7.2/10 9
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-26 12:36

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