Reviewer
D.S. * 6.0
Films make you fat
Regisseur Pablo Maqueda (unter anderem verantwortlich für die Werner-Herzog-Doku DEAR WERNER) beschäftigt sich außerordentlich viel mit Filmen. Das macht bereits sein Videogruß klar, der vor dem Screening von GIRL UNKNOWN gezeigt wird und in seinem Wohnzimmer beispielsweise ein À BOUT DE SOUFFLE-Poster sowie ein Buch über Paul Thomas Anderson erkennen lässt. Noch viel deutlicher wird das aber durch die Eröffnungsszene seines Thrillers GIRL UNKNOWN, in der er Antagonist Leonardo (Manolo Solo, PAN’S LABYRINTH) seiner jungen Begleiterin einen endlosen Monolog über das Kino und insbesondere die Filme Alfred Hitchcocks um die Ohren hauen lässt.
Das passt allerdings zu dem Namen, unter dem die 16-jährige Carolina (Laia Manzanares) ihn kennengelernt hat: Als „Mr_Hitchcock“ hat er die Schülerin in einen Online-Chat verwickelt – und ihr irgendwann mitgeteilt, dass er ihren Computer gehackt, Zugriff auf sämtliche ihrer Fotos und E-Mail-Kontakte hat. Falls sie nicht möchte, dass er peinliches Material mit ihren Bekannten teilt, hat sie nur eine Wahl: Sie muss sich mit ihm in einem Park treffen und seinen ausschweifenden Erzählungen lauschen. Und das soll natürlich noch lange nicht alles gewesen sein …
In diesem ersten Teil des Films erweckt Maqueda das typische Vorgehen von Internet-Predatoren äußerst glaubwürdig und unangenehm zum Leben und lässt sich dabei Zeit für viele beklemmende Details in der Figurenzeichnung. Bald kommt es jedoch zu einer drastischen Wendung im Geschehen – bei der es aber nicht bleibt: GIRL UNKNOWN entwickelt sich mit fortschreitender Laufzeit zu einem immer ungewöhnlicheren, immer schwerer zu kategorisierenden, leider aber auch immer unfokussierter wirkenden Film, dessen Handlungsentwicklung vor allem im Finale wirklich überhaupt nicht mehr vorhergesagt werden kann.
Das macht ihn natürlich grundsätzlich schon einmal interessant, wenn auch nicht durchgängig spannend. Ein wenig scheint Maqueda die spektakuläre Twistkraft seines Werkes allerdings zu überschätzen, wenn er in einer Texttafel zu Beginn des Films eindringlich darum bittet, nichts zum Inhalt zu spoilern, um andere nicht ihres Erlebnisses zu berauben. Aber darauf achten wir bei f3a.net ja ohnehin ;)
Der auf einem Theaterstück namens „Grooming“ basierende Thriller kann zunächst unbedingt fesseln, erfordert später aber einiges an Aufmerksamkeitsbereitschaft seitens des Publikums, denn er verirrt sich mitunter in schön anzusehenden, aber zu lang gestreckten, dabei inhaltlich dünn bestückten Szenen, die einen gewissen Arthouse-Einschlag aufweisen. Zudem wirkt die Story schließlich doch etwas arg konstruiert, was in Teilen auch für die Figuren und ihre Hintergründe gilt.
Dank der beiden großartig aufgelegten Hauptdarsteller:innen und dem bedrückenden, eindringlich inszenierten Beginn des Films ist mein Fazit insgesamt dennoch positiv, was daneben auch an einer weiteren, in diesem Fall brüllend komischen Unterhaltung rund um das Thema Film liegt: 6 Punkte.
Das passt allerdings zu dem Namen, unter dem die 16-jährige Carolina (Laia Manzanares) ihn kennengelernt hat: Als „Mr_Hitchcock“ hat er die Schülerin in einen Online-Chat verwickelt – und ihr irgendwann mitgeteilt, dass er ihren Computer gehackt, Zugriff auf sämtliche ihrer Fotos und E-Mail-Kontakte hat. Falls sie nicht möchte, dass er peinliches Material mit ihren Bekannten teilt, hat sie nur eine Wahl: Sie muss sich mit ihm in einem Park treffen und seinen ausschweifenden Erzählungen lauschen. Und das soll natürlich noch lange nicht alles gewesen sein …
In diesem ersten Teil des Films erweckt Maqueda das typische Vorgehen von Internet-Predatoren äußerst glaubwürdig und unangenehm zum Leben und lässt sich dabei Zeit für viele beklemmende Details in der Figurenzeichnung. Bald kommt es jedoch zu einer drastischen Wendung im Geschehen – bei der es aber nicht bleibt: GIRL UNKNOWN entwickelt sich mit fortschreitender Laufzeit zu einem immer ungewöhnlicheren, immer schwerer zu kategorisierenden, leider aber auch immer unfokussierter wirkenden Film, dessen Handlungsentwicklung vor allem im Finale wirklich überhaupt nicht mehr vorhergesagt werden kann.
Das macht ihn natürlich grundsätzlich schon einmal interessant, wenn auch nicht durchgängig spannend. Ein wenig scheint Maqueda die spektakuläre Twistkraft seines Werkes allerdings zu überschätzen, wenn er in einer Texttafel zu Beginn des Films eindringlich darum bittet, nichts zum Inhalt zu spoilern, um andere nicht ihres Erlebnisses zu berauben. Aber darauf achten wir bei f3a.net ja ohnehin ;)
Der auf einem Theaterstück namens „Grooming“ basierende Thriller kann zunächst unbedingt fesseln, erfordert später aber einiges an Aufmerksamkeitsbereitschaft seitens des Publikums, denn er verirrt sich mitunter in schön anzusehenden, aber zu lang gestreckten, dabei inhaltlich dünn bestückten Szenen, die einen gewissen Arthouse-Einschlag aufweisen. Zudem wirkt die Story schließlich doch etwas arg konstruiert, was in Teilen auch für die Figuren und ihre Hintergründe gilt.
Dank der beiden großartig aufgelegten Hauptdarsteller:innen und dem bedrückenden, eindringlich inszenierten Beginn des Films ist mein Fazit insgesamt dennoch positiv, was daneben auch an einer weiteren, in diesem Fall brüllend komischen Unterhaltung rund um das Thema Film liegt: 6 Punkte.
verweste im Harmonie, Frankfurt
traab * 8.0
Mi nombre ...
"La desconocida" aus dem Jahr 2023, international als "Girl Unknown" veröffentlicht, ist Spannungskino aus Spanien par ex·cel·lence.
"Leo gibt sich online als Gleichaltriger aus und lockt junge Mädchen in peinliche Gespräche, um sie dann persönlich zu treffen. Bei Carolina verläuft sein Plan jedoch anders als erwartet und wird zu einem beängstigenden Albtraum mit unvorhersehbaren Konsequenzen für beide Seiten."
Selten hat ein Film es geschafft, meine Stimmung innerhalb weniger Minuten so drastisch zu verändern und ein so beklemmendes Gefühl zu erzeugen wie "La desconocida".
In einer mehrminütigen Plansequenz bereitet sich ein kratziger Teppich aus bedrückender Beklommenheit aus, der ohne explizite Bilder dennoch einen Ekel erzeugt, den ich schon lange nicht mehr so gespürt habe.
Dieser anfängliche Monolog ist so widerlich, obwohl er inhaltlich eigentlich harmlos ist, nur um dann in einer Nahaufnahme zu gipfeln, die allein durch das, was man nicht sieht, aber hört, mir unter die Haut ging.
Selbst als die Stimmung dann zu kippen beginnt, ist das keine wirkliche Erleichterung, sondern hat selbst mit dem augenscheinlichen Richtigtun einen Punkt erreicht, der sich für mich ebenfalls ein wenig falsch und manipulativ anfühlte.
"La desconocida" setzt die Dialoge durch gezielte Rückblenden in einen spannenden Kontext und relativiert dadurch auch das Gesehene. Man bekommt als Zuschauer durch diese zusätzlichen Informationen auch noch einen besseren Blick auf die Intentionen der Figuren, obwohl das Gezeigte auch neue Fragen zu sexuellen Vorlieben und Verhalten mit Mitmenschen aufwirft.
Trotz der entschleunigten Erzählweise und der fast vollständigen Abwesenheit von Musik schafft es "La desconocida", eine immense Spannung aufzubauen und den Zuschauer in Gedanken und Gefühlen gefangen zu halten. Das Ende lässt Fragen unbeantwortet und überlässt es dem Publikum, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, was den Film umso fesselnder macht.
"Mi nombre ***SPOILER***no es Carolina."
"Leo gibt sich online als Gleichaltriger aus und lockt junge Mädchen in peinliche Gespräche, um sie dann persönlich zu treffen. Bei Carolina verläuft sein Plan jedoch anders als erwartet und wird zu einem beängstigenden Albtraum mit unvorhersehbaren Konsequenzen für beide Seiten."
Selten hat ein Film es geschafft, meine Stimmung innerhalb weniger Minuten so drastisch zu verändern und ein so beklemmendes Gefühl zu erzeugen wie "La desconocida".
In einer mehrminütigen Plansequenz bereitet sich ein kratziger Teppich aus bedrückender Beklommenheit aus, der ohne explizite Bilder dennoch einen Ekel erzeugt, den ich schon lange nicht mehr so gespürt habe.
Dieser anfängliche Monolog ist so widerlich, obwohl er inhaltlich eigentlich harmlos ist, nur um dann in einer Nahaufnahme zu gipfeln, die allein durch das, was man nicht sieht, aber hört, mir unter die Haut ging.
Selbst als die Stimmung dann zu kippen beginnt, ist das keine wirkliche Erleichterung, sondern hat selbst mit dem augenscheinlichen Richtigtun einen Punkt erreicht, der sich für mich ebenfalls ein wenig falsch und manipulativ anfühlte.
"La desconocida" setzt die Dialoge durch gezielte Rückblenden in einen spannenden Kontext und relativiert dadurch auch das Gesehene. Man bekommt als Zuschauer durch diese zusätzlichen Informationen auch noch einen besseren Blick auf die Intentionen der Figuren, obwohl das Gezeigte auch neue Fragen zu sexuellen Vorlieben und Verhalten mit Mitmenschen aufwirft.
Trotz der entschleunigten Erzählweise und der fast vollständigen Abwesenheit von Musik schafft es "La desconocida", eine immense Spannung aufzubauen und den Zuschauer in Gedanken und Gefühlen gefangen zu halten. Das Ende lässt Fragen unbeantwortet und überlässt es dem Publikum, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, was den Film umso fesselnder macht.
"Mi nombre ***SPOILER***no es Carolina."
war im Harmonie, Frankfurt
Herr_Kees * 6.0
Do you like Hitchcock?
Ein Mann und eine junge Frau unterhalten sich in einem Park. Vor allem der Mann spricht, hält dem Mädchen cineastische Vorträge. Doch irgendetwas stimmt nicht, sie scheint nicht freiwillig hier zu sein. Warum geht sie nicht oder ruft um Hilfe? Welches Machtverhältnis herrscht hier?
Was als mysteriöser Pädophilenkrimi beginnt, taucht bald schon in die Tiefen der menschlichen Psyche ab – wie Alice in den Kaninchenbau. Die Machtverhältnisse zwischen den beiden Protagonisten werden sich noch verändern, genauso wie unser Blick auf sie. Durch Flashbacks eröffnen sich neue Perspektiven – und Abgründe.
Der Film basiert auf einem Theaterstück, was man ihm auch anmerkt. Zwar ist der Austausch zwischen den beiden Hauptfiguren filmisch zum Teil interessant umgesetzt und wird immer wieder mit Hintergrundinformationen aufgelockert, doch letztlich ist GIRL UNKNOWN ein Dialogfilm, der stark von der Kommunikation der beiden lebt, von der Machtverschiebung, die auch in ihrer Sprache stattfindet. Das ist eine Weile durchaus spannend, wird aber zusehends abstrus, bis die Motivation des Geschehens kaum noch nachvollziehbar ist.
Ob eine bewusste künstlerische Entscheidung oder mangelnde inszenatorische Klarheit ausschlaggebend war, den Film so vage ausgehen zu lassen, kann man nur mutmaßen. Sicher ist jedoch, dass das Ende viele Zuschauer frustrieren wird.
Was als mysteriöser Pädophilenkrimi beginnt, taucht bald schon in die Tiefen der menschlichen Psyche ab – wie Alice in den Kaninchenbau. Die Machtverhältnisse zwischen den beiden Protagonisten werden sich noch verändern, genauso wie unser Blick auf sie. Durch Flashbacks eröffnen sich neue Perspektiven – und Abgründe.
Der Film basiert auf einem Theaterstück, was man ihm auch anmerkt. Zwar ist der Austausch zwischen den beiden Hauptfiguren filmisch zum Teil interessant umgesetzt und wird immer wieder mit Hintergrundinformationen aufgelockert, doch letztlich ist GIRL UNKNOWN ein Dialogfilm, der stark von der Kommunikation der beiden lebt, von der Machtverschiebung, die auch in ihrer Sprache stattfindet. Das ist eine Weile durchaus spannend, wird aber zusehends abstrus, bis die Motivation des Geschehens kaum noch nachvollziehbar ist.
Ob eine bewusste künstlerische Entscheidung oder mangelnde inszenatorische Klarheit ausschlaggebend war, den Film so vage ausgehen zu lassen, kann man nur mutmaßen. Sicher ist jedoch, dass das Ende viele Zuschauer frustrieren wird.
staunte im EM, Stuttgart
Leimbacher-Mario * 5.0
Das Mädchen mit dem Haargummi
„Girl Unknown“ ist eine fiese Fingerübung aus Madrid, absolut nicht dein klassischer spanischer Thriller mit Stil und Twists. Obwohl er auch das besitzt. Massig. Jedoch anders als man es von der iberischen Halbinsel gewohnt ist. Näher an sowas wie „Hard Candy“, „8MM“ oder „Mindhunter“ als an Krimikost d'Espana. Es geht um einen mittelalten Mann, der sich mit einer Teenagerin in einem Waldstück trifft, sie zuerst mit seinem Allgemein- und Filmwissen volllabert, dann jedoch „zur Sache“ kommt, sie durchdacht bedrängt und sexuell vergewaltigt. Doch sein Opfer ist nicht ganz so unschuldig wie er meint, wodurch schnell ein Spiel der Macht, der Erpressung, mit Sex und ganz menschlichen Abgründen beginnt…
Opfer, Täter, Mensch, Monster
„Girl Unknown“ wirft viele Fragen, Tabus, Themen und unangenehme Momente, Wahrheiten, Ansätze in den Raum. Ohne zu spoilern - das ist schon mutig und geht in Richtung von einstigen Skandalfilmchen à la „The Servant“ oder „Salo“. Aber eben ausschließlich in der Theorie. Regisseur Maqueda traut sich nie durch die von ihm und seinen Protagonisten geöffneten Türen zu gehen. Er starrt nur zusammen mit uns hinein in den Abgrund. Ein Schubser oder Sprung hätten hier wahre Wunder bewirkt. So bleibt eine immer sehr nahe, intime, verwirrende bis nervige Kamera, ambivalente Figuren, ein richtig fieses, realistisches erstes Drittel und ein ekelhafter Triebtäter, der wohl mit seiner Vorliebe für Kino und Hitchcock uns Filmfans nochmal extra deutlich den gesplitterten Spiegel vorhalten soll. Der Abspann ist schick und verstörend. Wie gesagt: viele Tricks, Finten und Themen ebenso. Doch die Diskussionen und Denkanreize nach diesem knackigen Krimi werden wohl interessanter sein als die sich manchmal etwas ziehenden und in den falschen Momenten Aussparungen treffenden 90 Minuten. Hier war mehr drin.
Fazit: Ungewöhnliches Spiel mit Macht, Fetischs, Tabus und den Abgründen von uns Menschen. Ein spanisches Skandalfilmchen light. Das sich leider nicht traut in die Vollen zu gehen und seine auf den Tisch gelegten Karten aggressiv auszuspielen. Eher Diskussionsstarter als guter Thriller.
Opfer, Täter, Mensch, Monster
„Girl Unknown“ wirft viele Fragen, Tabus, Themen und unangenehme Momente, Wahrheiten, Ansätze in den Raum. Ohne zu spoilern - das ist schon mutig und geht in Richtung von einstigen Skandalfilmchen à la „The Servant“ oder „Salo“. Aber eben ausschließlich in der Theorie. Regisseur Maqueda traut sich nie durch die von ihm und seinen Protagonisten geöffneten Türen zu gehen. Er starrt nur zusammen mit uns hinein in den Abgrund. Ein Schubser oder Sprung hätten hier wahre Wunder bewirkt. So bleibt eine immer sehr nahe, intime, verwirrende bis nervige Kamera, ambivalente Figuren, ein richtig fieses, realistisches erstes Drittel und ein ekelhafter Triebtäter, der wohl mit seiner Vorliebe für Kino und Hitchcock uns Filmfans nochmal extra deutlich den gesplitterten Spiegel vorhalten soll. Der Abspann ist schick und verstörend. Wie gesagt: viele Tricks, Finten und Themen ebenso. Doch die Diskussionen und Denkanreize nach diesem knackigen Krimi werden wohl interessanter sein als die sich manchmal etwas ziehenden und in den falschen Momenten Aussparungen treffenden 90 Minuten. Hier war mehr drin.
Fazit: Ungewöhnliches Spiel mit Macht, Fetischs, Tabus und den Abgründen von uns Menschen. Ein spanisches Skandalfilmchen light. Das sich leider nicht traut in die Vollen zu gehen und seine auf den Tisch gelegten Karten aggressiv auszuspielen. Eher Diskussionsstarter als guter Thriller.
war im Residenz, Köln
25 Bewertungen auf f3a.net
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Bewertungen
Girl Unknown
- Score [BETA]: 60
- f3a.net: 5.9/10 25
- IMDb: 6.1/10