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Review The Lesson

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Humanismus, inhuman
von D.S.

Offensichtlich ein echter Publikumsspalter, wenn ich mir die bisherigen Reviews bei f3a.net so ansehe. Mir hat er sehr gefallen, und einige der geäußerten Kritikpunkte kann ich nicht ganz nachvollziehen, oder sagen wir es so: Mag sein, dass die Tonmischung an ein paar Stellen nicht ganz optimal ist. Aber das ist mir nicht mal aufgefallen. Da mich das Geschehen zu sehr gefesselt hat – und vor allem seine Implikationen.

THE LESSON ist viel, viel mehr als ein Film über einen Lehrer, der ausrastet und sich an seinen Schülern rächt. Tatsächlich ist diese Handlung nur die Folie, auf der existentielle Fragen des abendländischen Wertekanons abgehandelt werden. Was einerseits auf unmittelbare Weise geschieht – die zentralen Thesen von Rousseau und Hobbes zum Charakter des Menschen werden ebenso "eindringlich" erörtert wie Überlegungen zu den Fesseln menschlicher Vernunft und Fantasie, zu Moral und Entscheidungsfreiheit. Andererseits ist da natürlich eine Metaebene. Auf welcher der in mehrfacher Hinsicht schmerzhafte Film eine ziemlich pessimistische Weltsicht impliziert. Denn die Positionen Rousseaus und Hobbes’ können einander noch so konträr gegenüberstehen: Für die Analyse alltäglichen menschlichen Umgangs miteinander sind sie leider in der Praxis weitgehend bedeutungslos, denn jeder wird in eine bestehende Gesellschaft hineingeboren, deren Werte ihn prägen; fängt niemals wirklich bei Null an – es bleibt also nur zu fragen, was er daraus macht. Das heißt, kurz gesagt: Ideale sind etwas Wunderbares. Aber was wirklich zählt ist, was du machst, um sie zu erreichen. Und da bezieht der Film eben letztlich die Position der mehrfach erwähnten ANIMAL FARM von George Orwell...

THE LESSON gibt einem viel zum Nachdenken – wobei man dabei während des Films schnell (und gut bewandert im Englischen) sein sollte, da uns die verständlich frustrierte Lehrkraft in der zweiten Filmhälfte im Stakkato Themen und Thesen der humanistischen Bildung um die Ohren haut. Dass das Ganze dabei aber nicht nur wie eine große Pädagogikshow wirkt, sondern auch als Film mitreißen kann, liegt vor allem an der durchaus intensiven Inszenierung der Qualen, welche die von ihrem seinerseits über 20 Jahre hinweg von desinteressiertem bis offen feindseligem Nachwuchs gequälten Lehrer zum besonderen "Nachsitzen" verdonnerten Schüler erleiden müssen. Das entwickelt sich zu einer regelrechten Tour de Force und einem für mich in dieser Intensität doch überraschenden Blutbad.

Da sich der Film in seiner ersten Hälfte dankenswerterweise die Zeit genommen hat, uns ausführlich in die Welt dieser Schüler einzuführen, uns über Ihre individuellen Hintergründe und Lebenssituationen ins Bild zu setzen, kann man einerseits extrem mit ihnen mitleiden, andererseits wirken sie so niemals wie eindimensionale Klischeefiguren, wie Arschloch-Abziehbilder. Empathie ist hier also weitaus mehr als nur ein weiteres abstraktes Nomen, das in der Theorie verhandelt wird.

Der Ausgang der Handlung hat mich dann zwar ein wenig enttäuscht, vielleicht habe ich in diesem Fall aber auch einfach die Ironie nicht ganz verstanden. Und in die Entwicklung der Figur des Lehrers wurde leider klar zu wenig Raum investiert. Insgesamt aber ist THE LESSON meiner Meinung nach definitiv eine Sichtung wert – eine Allegorie auf den ewigen Widerstreit zwischen Bildung und Dummheit, Idealen und Idealismus, Humanismus und Menschenverachtung, die (nicht nur) in ihrer Konsequenz wehtut. 7 Punkte von mir.

war im Cinestar, Frankfurt

34 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

The Lesson
  • Score [BETA]: 58
  • f3a.net: 4.7/10 34
  • IMDb: 4.5/10
  • Rotten Tomatoes: 83%
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-27 04:03

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