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Review Snowtown

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Ein mordsmäßig guter Freund
von D.S.

SNOWTOWN dreht sich um eine von 1992 bis 1999 anhaltende Serie von Morden in der Umgebung von Adelaide, die unter der Führung von John Justin Bunting begangen wurden und als „Snowtown Murders" oder „Bodies in Barrels Murders" in die Geschichte eingegangen sind - als die zweitschlimmste Mordserie Australiens.

Bunting war ein offenbar recht charismatischer und manipulativer Mann, der gleich mehrere Helfer um sich scharte und in seinem Umfeld Morde an Opfern wie seinen lautstark als „die richtige Lösung" propagierte: Schließlich brachte er zunächst vor allem angebliche Päderasten unter die Erde. Allerdings erweiterte er seine Zielfiguren bald um Homosexuelle, Drogensüchtige und schließlich jeden, der sich als Opfer finden ließ.

Im Mittelpunkt der wohl sehr akkuraten Abbildung der Geschehnisse in SNOWTOWN steht der zu Beginn der Handlung erst 14-jährige James Spyridon Vlassakis. Er ist einer von vier Söhnen von Elizabeth Harvey - eine dysfunktionale Unterschichtsfamilie ohne Vater, die James weder Halt noch Perspektive zu bieten hat. Nachdem er und seine beiden jüngeren Brüder von einem Nachbarn sexuell missbraucht worden sind, lernt seine Mutter Bunting kennen - der unter anderem durch Vergeltungsmaßnahmen gegen den Nachbarn das Herz und das Vertrauen von James gewinnt und für ihn nach und nach zu einer Vaterfigur wird. Bunting propagiert im Familien- und Bekanntenkreis bald offensiv drastische Aktionen gegen vermeintliche Kinderschänder und führt sie auch durch, wie sich herausstellt. Schließlich überzeugt er James davon, mitzumachen.
Am 21. Juni 2001 wurde James des Mordes in vier Fällen für schuldig befunden, darunter an seinem Halb- und seinem Stiefbruder.

Ein Junge wurde also von einem menschlichen Monster gezielt zu einem Serienmörder herangezogen - wenn das mal keine finster-spannende Vorlage für einen Film ist. SNOWTOWN entscheidet sich aber gegen eine dramaturgisch überhöhte Aufbereitung, gegen das Einbetten der Fakten in eine klassische Spielfilm-Handlung: die tatsächlichen Geschehnisse werden weitestgehend einfach nur chronologisch nachgestellt. Trotz des dreckig-realistischen Looks hat das Gezeigte aber dennoch keinen dokumentarischen Charakter, was zum einem dem auffälligen Sounddesign geschuldet ist und zum anderen der Tatsache, dass bestimmte Aspekte der wahren Geschichte ausgelassen, andere besonders betont werden.

Ist man jedoch nicht mit den authentischen Hintergründen des Falls vertraut, stellt einen SNOWTOWN phasenweise vor große Probleme. Oft informiert der Film den Zuschauer nicht darüber, an welchem Ort wir uns gerade befinden, wer warum anwesend ist und was dort überhaupt gemacht wird. Es wird mit Figuren von assoziierten Tätern und vor allem Opfern nur so um sich geworfen, Namen werden reihenweise ohne Kontext genannt - oft erschließt sich erst nach mehreren Minuten, worum es in der aktuellen Szenenfolge eigentlich geht, manchmal auch gar nicht. Vor der Sichtung des Films empfehle ich darum dringend einen Besuch bei crimelibrary.com oder wenigstens der Wikipedia, das erleichtert das Verstehen deutlich.

Der Grund für dieses filmische Vorgehen bleibt mir jedoch unklar, die Handlung erscheint so, auch dank mehrerer Zeitsprünge, gleichzeitig überladen und fragmentiert, viel zu schwer nachvollziehbar und in Teilen überflüssig.

Nichtsdestoweniger gelingt es dem Film, eine intensive Atmosphäre aufzubauen. Die Hauptfiguren des Real-Dramas werden sehr detailliert gezeichnet und darüber sehr lebendig gemacht - kein schöner Anblick, da sie fast ausnahmslos den Abschaum des Abschaums darstellen. Aber auch dieses Umfeld wiederum wird nachdrücklich in Szene gesetzt.

Mit dem Wissen, dass es sich um reale Geschehnisse handelt, entwickelt SNOWTOWN deshalb ein durchaus effektives, abstoßendes Gesamtbild, erlaubt einen intensiven Blick in tiefste menschliche Abgründe. Er erzählt seine Geschichte aber unnötig kompliziert, oft langatmig und nicht stringent genug, um über die lange Laufzeit hinweg Interesse aufrecht erhalten zu können - zumal er die Taten selbst fast ausnahmslos NICHT zeigt. Und auch die Gründe für die Faszination, die Bunting auf Vlassakis ausübte, werden nicht vollständig greifbar gemacht, vielleicht ist das aber auch gar nicht möglich.

Insgesamt fühle ich mich von SNOWTOWN zwar beeindruckt, aber auch unbefriedigt. Deshalb nur 6 Punkte.

war im Metropolis 8, Frankfurt

49 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

Snowtown
  • Score [BETA]: 67
  • f3a.net: 5.8/10 49
  • IMDb: 7.5/10
Bewertungen von IMDb werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-26 04:58

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