s White Bird in a Blizzard (2014) Review - Fantasy FilmFest Mobil
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Reviews White Bird in a Blizzard

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Reviewer

Alexander * 10.0

Grandioses, gefühlsstarkes, Retro-Fest.

Die Mutter der 17jährigen „Kat“, zauberhaft gespielt von Shailene Woodley, verschwindet 1988 ausgerechnet zu einer Zeit, als Kat mit ihren Hormonschüben und den Problemen die eine Pubertät nun mal mit sich bringt, reichlich überfordert, und der schlaffe Vater keine Hilfe ist. In Rückblenden auf der Psychiater-Couch erfahren wir mehr über die Vergangenheit der Familie und erleben eine Eva Greene in der Performance ihres Lebens als sexuell frustrierte „Rabenmutter“, das einem der Mund offen stehen bleibt.

Was die Mutter zu wenig bekommt hat die Tochter reichlich, und der Film trieft an allen Ecken und Enden vor Erotik. Shailene Woodley spielt die fast nicht wiederzuerkennende, aber ebenso beeindruckende Eva Greene so bezaubernd gegen die Wand, das man gar nicht anders kann als dahinzuschmelzen. Das ist Frauenpower in Reinkultur.

Weitere Ablenkung verschaffen ihre schillernden Freunde und Besuche in Gothic-Clubs, sowie die passende Musik dazu.
Und diese Musik ist wichtig für den Film und muss in diesem Zusammenhang einfach gesondert erwähnt werden.

Wenn man gegen Mitte/Ende der 80er Jahre als Teenager nämlich eine schlimme coming-of-age Phase durchmachen musste, hatte man zumindest den Trost, sich aus einem hervorragenden Angebot wunderbarer New Wave und Gothic-Rock - Musik seinen persönlichen Depri-Soundtrack zusammenzustellen zu können, zu dem man dann seinen Weltschmerz pflegen konnte. Als ganz großer Fan dieser Musikrichtung und Mensch mit damals ähnlichen Problemen wie die junge „Kat“, ging mir beim wirklich liebevoll zusammengebauten Soundtrack des Films so richtig das Retro-Herz auf.

Nicht nur das die auch im letztjährigen „Haunter“ obligatorische Grufti-Band „Siouxsie & The Banshees“ mit einem Track vertreten ist, nein, es musste natürlich der für einen Gregg Araki – Streifen mehr als angemessene Song-Gigant „Dazzle“ sein, und zwar in der ultrararen extended Glitter-Maxi-Fassung, welche im Film nicht nur an- sondern sogar fast ausgespielt wird! Daneben gibt es zu den Szenen immer passende und häufig lange Einspielungen von New Order, Depeche Mode, The Cure sowie einen zauberhaften und ebenfalls aus den 80ern stammenden Track der „Cocteau Twins“ mit dem dieses Meisterstück des diesjährigen FFF auch eröffnet wird, und deren Gitarrist Robin Guthrie sogar namentlich bereits im Vorspann erwähnt wird. Das ich sowas noch mal erleben durfte.

Neben dem vielleicht schönsten Soundtrack des Jahres baut Araki auch anderweitig eine unverwechselbare „Eighties“ Stimmung auf, die Melancholie steckt in dutzenden Details, sei es das „Erazerhead“ Poster im Plattenladen, das ultrakultige „This Mortal Coil“ T-Shirt von Kat, oder ihr Freund, der auf einer original ATARI 2600 Game Konsole den damaligen Arcade Hit „Missile Command“ spielt. Vom restlichen Set-Design fang ich lieber erst gar nicht an zu sprechen, damit das hier nicht ausufert.

Fast ist es eine Schande das ausgerechnet dieser zauberhafte Film nicht wiederholt wird. Man müsste ihn schon deshalb ein 2. Mal sehen, um sich erst mal in Ruhe auf all die übrigen Kunstwerke konzentrieren zu können, mit denen in jeder 2. Szene die Wände dekoriert sind.

Neben der optisch und musikalisch opulenten Ausstattung bekommen wir dann eine mehr als spannende Geschichte präsentiert, die sich mit einigen Rückblenden und Zeitsprüngen versehen, sogar zu einem kleinen Mysterystück entwickelt. Dies alles geschieht in einem wundervoll bebilderten Rahmen, ist voller Dialogwitz, gefühlsstarken Momenten mit viel Sensibilität für die Psyche eines Teenagers und tollen Einfällen garniert. In manchen Szenen fühlt man sich an die frühen Romane von „Brett Easton Ellies“ erinnert, doch „White Bird in a Blizzard“ ist viel subtiler und emotionaler, weniger oberflächlich und in vielen Szenen sogar richtig witzig.

Und wenn ich bedenke das ich vor dem heutigen Tage noch gar kein Gregg Araki Fan gewesen und diesen Film beinahe versäumt hätte, krieg ich Gänsehaut. Für so ein rauschendes Kinofest gibt es von mir dann volle 10 Schneekristalle.

Lovecraft * 8.0

Not A Single Trace

Coming of Age mit einem Hauch Mystery: Wer sich von dieser Kombination angesprochen fühlt, sollte "White Bird in a Blizzard" keinesfalls verpassen. Die, gerade nach dem letzten Kracher "Kaboom" von Gregg Araki erstaunlich ruhig aber nie langweilig erzählte Geschichte von einem verunsicherten Teenie-Girl und seiner spurlos verschwundenen, exaltierten Übermutter überzeugt durch ihre enorm präzisen Charakterzeichnungen und dem sehr schön eingefangenen Flair der 80er Jahre. Wie schon im letztjährigen "Byzantium" gibt es auch hier ein darstellerisch formidables Mutter-Tochter-Gespann zu bewundern, Shailene Woodley spielt einfach wunderbar natürlich, und Eva Green ist schlichtweg umwerfend. Sehr lohnend! Vorsicht ist allerdings geboten vor dem, aus meiner Sicht, ziemlich spoilernden Trailer!

war im Cinemaxx, Berlin

misspider * 6.5

Gleich die erste Szene ein Hingucker: Blick auf ein Depeche Mode Poster an der Wand. 80er Jahre Ausstattung und musikalische Untermalung machen den Film zu einem liebevoll gestalteten Trip in die Vergangenheit. Leider kann die Story nicht in gleichem Maße mithalten: streckenweise langatmig, mit einer überraschenden, aber für den Ausgang unerheblichen Auflösung. Aber dafür blieb mehr Zeit, sich auf die Musik und sonstige Details zu konzentrieren und auf Nostalgiereise zu gehen. Das hat es dann noch einigermaßen rausreissen können.

staunte im Metropol, Stuttgart

D.S. * 7.5

Eine Fabel vom Verschwinden

Die 80er waren eine schlimme Zeit, wie es uns ja gerade etwa COLD IN JULY wieder gnadenlos vor Augen führt: furchtbare Frisuren, Augenkrebs verursachende Klamotten, eine musikalische Obszönität namens Hair-Metal, stolz gelebte Geschmacklosigkeit überall in Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft. Die 80er waren aber auch eine tolle Zeit, zumindest für Jugendliche neben dem Mainstream: Die totale ästhetische Opposition zu und Abgrenzung von sowohl den dumpfen Altersgenossen als auch der verkommenen Elterngeneration war aufs Einfachste möglich; es genügte die Wahl bestimmter Kleidungsarten und musikalischer Präferenzen, schon stand man als cooler Indie-Underground-Typ da und hatte sich den Status eines "eigenen", stylischen Lebensstils erkämpft. Es gab ja weder Hipster noch das Internet, weder allumfassende ironische Brechung noch zu desillusionierender Bedeutungslosigkeit führende Jederzeit-Verfügbarkeit von Szene-Wissen und entsprechenden Selbstinszenierungs-Accessoires – das gewählte Outfit und die gehörte Musik reichten aus, um sich klar zu positionieren und ein unmissverständliches Statement abzugeben. Vielleicht noch wichtiger: Erstmals seit Jahrzehnten musste das kein offensives Statement sein. Verletzlichkeit, Melancholie, Innerlichkeit waren nicht zuletzt dank Bands wie THE CURE, SIOUXSIE AND THE BANSHEES oder auch (der damaligen Form von) DEPECHE MODE Werte, die in relevanten Teilen der Jugendkultur zur Schau getragen werden konnten, ohne sich damit zum buchstäblichen "Opfer", zum Außenseiter ohne Bezug zum Leben und seinen akzeptierten Ausdrucksformen zu machen.

Nun ist Kat, die 17-jährige Protagonistin von WHITE BIRD, zwar alles andere als eine exaltierte Vertreterin eines Dark-Wave- oder gar Gothic-Stils, wie sie etwa die Figur der Lisa im letztjährigen HAUNTER abgab. Schon gar nicht wirkt sie wie eine Rebellin, die sich mit aller Macht gegen das Spießer-Idyll ihrer US-Kleinstadt auflehnt. Aber es umgibt sie eine Aura gesteigerter Emotionalität, Intensität, Sehnsucht nach Größerem – die es allemal seltsam erscheinen lässt, dass sie sich ausgerechnet einen prototypischen Proll wie Phil als Lover aussucht (und sich später von einem noch plumperen wandelnden Alpha-Klischee wie Detective Scieziesciez angezogen fühlt). Aber vielleicht ist es die Suche nach irgendeinem Halt, die sie da antreibt. Denn in ihrem Alltag, in ihrer Familie kann dieses gefühlige Wesen ihn offensichtlich nicht finden: Ihr Vater gibt den demütig-weichen Trottel, ihre frustrierte Mutter die launisch-herrische Bitch, die verbittert gegen ihr Älterwerden ankämpft und der Tochter ihre Jugend nicht gönnt (von Eva Green beängstigend glaubwürdig gespielt!). Vielleicht ist es aber auch doch nur ihre verspätet zum Ausbruch kommende Pubertät, ihr Drang nach Körperlichkeit und dem Ausleben ihrer erwachenden Sexualität, und ich hänge das hier eh alles zu hoch auf.

Wie auch immer es sein mag: Kats Leben ist auch mit Lover nach wie vor nicht erfüllend, zudem sucht er aus unerfindlichen Gründen zunehmend Distanz, und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, kommt sie eines Tages nach Hause und ihre Mutter ist verschwunden. Aus heiterem Himmel. Spurlos. Wie ein weißer Vogel in einem Schneesturm. Kat versucht, das Mysterium zu lösen. Etwas über den Verbleib ihrer Mutter herauszufinden – hat sie die Familie verlassen, weil sie sie und ihr eigenes Dasein nicht mehr ertragen konnte? Ist sie zum Opfer eines Verbrechens geworden? Aber was auch immer Kat unternimmt, wo auch immer sie nach Hinweisen sucht: sie stößt nur auf ungeklärte Fragen. Nicht zuletzt über sich selbst und das Leben, das sie bislang gelebt hat. Ihre Mutter bleibt jedoch unauffindbar...

WHITE BIRD wird als Geschichte mit vielen Rückblenden erzählt – Jahre später kehrt Kat in den Semesterferien an ihren Heimatort zurück und lüftet Schritt für Schritt das Geheimnis um das, was einst passiert ist und ihr Leben für immer verändert hat. Allerdings ist auch ihre filmische Gegenwart für uns entfernte Vergangenheit, denn diese spielt in der ersten Hälfte der 90er-Jahre: Nostalgie begraben in Nostalgie also, wenn man so will. Dabei ist die tatsächliche Story, also das Aufklären der Hintergründe des Verschwindens von Kats Mutter, aber ohnehin in keiner Sekunde das, worum es bei diesem Film wirklich geht. Und auch die zeitliche Verortung dient nur als besonders tragfähiger Canvas, auf dem universelle Themen von Reifung, Selbständigkeit, Desillusionierung und Pragmatismus gezeichnet werden: WHITE BIRD ist Coming-of-Age in Reinkultur, das Zelebrieren jugendlicher Magie in einer Welt, die keinen Platz für sie hat; das Darstellen des Scheiterns unverstandener Träume an bitterkalter Realität, die sich hier unter der besonders schmierig-warm wirkenden Oberfläche der End-80er verbirgt.

Dabei geriert sich der Film erstaunlich zurückhaltend: Wer etwa nach KABOOM ein bonbonbuntes Schrägheitsszenario erwartet hat, wird hart enttäuscht werden, auch die Araki-typischen metrosexuellen Charaktere und die glamourhafte Sexualitätsinszenierung an sich spielen hier eine deutlich untergeordnete Rolle. Stattdessen geht es – bei allem bösen Humor gerade in der Darstellung der Figuren – insgesamt ernsthafter, melancholischer zu. Und derart magisch beseelt, dass man kaum genug davon bekommt: So traurig das Geschehen und seine letztlichen Konsequenzen auch sind – WHITE BIRD versetzt uns in eine liebevoll und dicht gestrickte Emotions-Welt, aus der man am liebsten gar nicht mehr auftauchen möchte.

Auch, wenn man den Mystery-Aspekt vollständig vernachlässigen kann, vielleicht sogar die komplette Handlung; auch, wenn es hier am Ende vielleicht nur um die Inszenierung eines Lebensgefühls von Verlorenheit und seltsam schöner Sinnlosigkeit geht: WHITE BIRD fesselt und verzaubert über seine gesamte Laufzeit. Betörte 7,5 Punkte – noch mehr hätte es wohl gegeben, wenn die faszinierend halluzinativen Traumsequenzen häufiger zum Einsatz gekommen wären, die den Filmtitel konkretisieren.

war im Cinestar, Frankfurt

46 Bewertungen auf f3a.net

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Bewertungen

White Bird in a Blizzard
  • Score [BETA]: 65
  • f3a.net: 6.8/10 46
  • IMDb: 7.1/10
  • Rotten Tomatoes: 71%
  • Metacritic: 51/100
Bewertungen von IMDb, Rotten, Meta werden zuletzt vor dem Festival aktualisiert, falls verfügbar!
© Fantasy FilmFest Archiv 2024-04-25 15:15

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